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Berlin: Regierungsumzug: Nach einem Jahr kommt endlich auch die Berliner Wirtschaft in Schwung

Der Bundeskanzler saß noch nicht in seinen Jets. Auch Joschka Fischer bevorzugt größeres Fluggerät.

Von Antje Sirleschtov

Der Bundeskanzler saß noch nicht in seinen Jets. Auch Joschka Fischer bevorzugt größeres Fluggerät. Nein, Bundesminister zählt Thomas Stillmann, Inhaber der Tempelhofer Windrose Air Jetcharter GmbH, auch zwölf Monate nach dem Regierungsumzug nicht zu seiner Kundschaft. Doch das macht vorerst nichts. Allein die Tatsache, dass bald auch die ranghöchsten Politiker Deutschlands mit den fünf Cessnas und Challengers der Windrose von Berlin aus in alle Welt abheben könnten, treibt Stillmanns Fluggeschäft schon jetzt gewaltig an. Seit die Bundesregierung von Bonn nach Berlin umgezogen ist, buchen immer mehr Journalisten, Schauspieler und Manager seine kleinen Maschinen.

Gut ein Jahr wird Deutschland von Berlin aus regiert, und die Unternehmer in der Hauptstadt spüren schon jetzt den Bedeutungszuwachs in ihren Geldbörsen. Nicht, dass Gerhard Schröder eine Reihe großer Industriebetriebe aus dem Rheinland mitgebracht hätte; kaum ein Produktionsbetrieb siedelte im vergangenen Jahr zwischen Pankow und dem Grunewald. Noch immer ist der industrielle Rückbau Berlins nicht völlig gestoppt. Berlin, gab Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner unlängst kleinlaut zu, hinkt dem Wachstumstrend der Republik mit 1,5 Prozent noch immer hinterher. Doch die Regierenden tun dem Wirtschaftsstandort Berlin trotzdem schon jetzt sehr gut. Ob Parlamentarier, ihre Assistenten, die Bundestagsverwaltung oder Mitarbeiter der Ministerien: Sie alle wollen wohnen, einkaufen, essen, ihre Gäste empfangen und suchen nicht zuletzt Freizeitspaß in Kinos, auf Tennisplätzen und Restaurants.

Trat die wirtschaftliche Entwicklung des Landes im vergangenen Jahr mit einem Wachstum von 0,1 Prozent noch auf der Stelle, erreicht sie 2000 mit einem voraussichtlichen Wert von 1,5 Prozent beinahe Rekordniveau. Die Dienstleistungsbranche, resümierte unlängst die örtliche Industrie- und Handelskammer IHK, "entwickelt sich zum Motor des wirtschaftlichen Wachstums in der Bundeshauptstadt".

Ganz vorne liegt die Tourismusbranche. Monat für Monat bejubeln die Berliner Hotels neue Rekordzahlen. Mehr als vier Millionen Menschen besuchten in den vergangenen zwölf Monaten die Stadt. Zwar wollten nicht alle den Reichstag und die Baustellen des Regierungsviertels sehen, gibt der Tourismusverband zu. Doch für einen großen Teil wurde auch die Regierung zum Magnet. Fast 15 Prozent mehr Hotelzimmer wurden vermietet.

Zufriedenheit beherrscht auch die Immobilienbranche. Seit sich das Parlament und die Bundesregierung auf den Weg nach Berlin gemacht haben, ist das Wehklagen der Bauträger und Vermieter von Gewerbe- und Wohnungsbauten fast verstummt. Hunderte Vereine, Verbände und Lobbyisten suchen Büroräume, um ihre Interessen direkt vertreten zu können. Große Medienunternehmen sind gekommen, und kaum eine deutsche oder internationale Zeitung, die nicht Korrepondenten und Fotoreporter in Berlin hat. Beinahe 50 000 Menschen, schätzt die IHK, fanden in den vergangenen Monaten allein im engeren Umfeld der Regierungsarbeit einen Job in Berlin.

Das freut all jene, die im Stadtzentrum Büros gebaut haben. Das freut aber auch Klempner, Elektriker, und Malermeister, für die es neue Aufträge bei der Sanierung und Renovierung von Büroräumen gibt. Insgesamt 415 000 Quadratmeter Büroflächen, hat der Makler Aengevelt errechnet, wurden in den vergangenen Monaten allein im Zusammenhang mit dem Regierungsumzug vemietet. Um knapp 75 Prozent stieg der Umsatz der Vermieter auf rund 1,5 Milliarden Mark. "Das Geschäft läuft so gut wie schon lange nicht mehr", bestätigt auch Christine Buwitt vom Maklerbüro Angermann den Wachstumstrend. Ganz klar, dass die positive Entwicklung so manchen Berliner anspornt, auf den Wachstumszug aufzuspringen. Cafés werden eröffnet, neue Geschäftsideen ausprobiert: Überall in der Stadt suchen Caterer und Reinigungsfirmen diensteifrige Mitarbeiter.

Selbst so ausgefallene Ideen wie die von Birgit Koß und ihren Kolleginnen vom "Privaten Institut für Schulberatung" haben auf einmal Erfolgschancen. Die jungen Frauen erkannten Mitte 1999 mit dem auf Berlin zurollenden Regierungstross ihre Marktlücke. "Wer hierher kommt", sagte sich damals Birgit Koß, "sucht für seine Kinder bestimmt eine passende Schule". Die Beamten-Muttis blieben zwar weg, "der Regierungsumzug hat nicht viel gebracht". Doch das Geschäft läuft seitdem trotzdem gut. Für 10 bis 15 Kinder suchen Koß und ihre Mitstreiterinnen jeden Monat neue Schulen, empfehlen Musiklehrerinnen oder Fremdsprachenunterricht. 140 Mark investieren die Eltern für eine Beratungsstunde.

Das Interesse der Berliner, ein Unternehmen zu gründen, nimmt nach Erkenntnissen der Bankgesellschaft Berlin diesem Jahr "allgemein einen rasanten Aufschwung". 5600 vor allem kleine Unternehmen in der Dienstleistungsbranche werden bis zum Jahresende mehr gegründet als geschlossen - ein Plus von 25 Prozent. Für nächstes Jahr erwarten die Banker sogar, dass das Wirtschaftswachstum Berlins sich vollkommen an den Bundestrend anschließt.

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