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Berlin: Reichstag: Bar jeglicher Gemütlichkeit

"Leben über alles". Der Titel des meterhohen Ölgemäldes in der Bar des Bundestags muss dem russischen Maler Grisha Bruskin wie Hohn in den Ohren klingen.

"Leben über alles". Der Titel des meterhohen Ölgemäldes in der Bar des Bundestags muss dem russischen Maler Grisha Bruskin wie Hohn in den Ohren klingen. Denn genau das Gegenteil ist der Fall. An der teuren Edel-Theke im Reichstagsgebäude herrscht gähnende Leere. Seit der Eröffnung vor zwei Jahren meiden die Abgeordneten die exklusive Schenke im Erdgeschoss. "Das ist natürlich nicht das, was wir uns gewünscht haben", sagt Dietmar Kansy (CDU), Vorsitzender der Baukommission.

Monatelang hatten Experten des Bundestags über die Gestaltung gestritten. Die schlechten Erfahrungen mit der Bar im Bonner Neubau sollten um jeden Preis vermieden werden. Es kursierten Ideen für ein englisches Pub. Auch mit der Bar des Londoner Parlaments befasste an sich. "Es gab lange quälende Diskussionen über die Farbe im Raum", erinnert sich Kansy. Aber man habe sich nicht pausenlos mit dem Architekten streiten können.

So einigten sich die Vertreter von Baukommission und Kunstbeirat mit Sir Norman Foster auf die edle, aber kühle Ausstattung. Doch das knallige Rot der Schallschutzpaneele verschreckt die Parlamentarier bis heute. Am breiten Tresen aus hellem Holz und glänzendem Chrom will sich niemand zum vertraulichen Gespräch treffen. Die schwarzen Barhocker bleiben ebenso unbenutzt, wie die exklusiven Kühlschränke und Regale. Bei dem aus 115 Einzelbildern bestehenden Gemälde von Bruskin über russisches Leben von 1945 bis zur Sowjetära will das Bier offenbar nicht schmecken. Kein Ort für ungezwungene und ungestörte Gemütlichkeit abseits des Plenums.

Über die Höhe der Kosten für die edle und kaum genutzte Einrichtung schweigt sich die Bundesbauverwaltung aus. Als Grund nennt Birgit David, Mitarbeiterin der Pressestelle, den Großauftrag an eine Firma, die zahlreiche Räume ausgestattet habe. "Die genaue Summe speziell für den Clubraum können wir deshalb leider nicht nennen."

Vom Bar-Boykott überrascht ist Peter Ramsauer, Vorsitzender der Kommission für innere Angelegenheiten des Bundestags im Ältestenrat, nicht. An seine erste Begegnung mit dem Clubraum kann sich der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe gut erinnern. "Ich habe gleich gesagt, da geht kein Aas rein." Der Architekt und Dietmar Kansy hätten ihm bei einer Begehung des Rohbaus ihre Vorstellungen geschildert. Sein Eindruck schon damals: "Eine totale Fehlplanung." Auch die baupolitische Sprecherin der Grünen, Franziska Eichstädt-Bohlig, ist über den Widerstand nicht verwundert. "Meine Kritik an Foster war immer, dass er zu wenig Innenarchitekt ist. Aber ein anderer hätte das wahrscheinlich auch nicht besser geschafft. Die Herrschaftlichkeit der Räume zu durchbrechen, das ist wie die Quadratur des Kreises."

Dietmar Kansy sieht neben der Raumgestaltung einen weiteren Grund für die Ablehnung der Abgeordneten. "Auch der Sog der Stadt Berlin spielt eine große Rolle." Nur ein Bruchteil der Parlamentarier sei abends im Reichstag zu finden. "Die vielen Cafés und Restaurants der Umgebung sind einfach verlockend." Michael Käfer, dem Betreiber der Gastronomie im Deutschen Bundestag, war daher nach wenigen Wochen klar: "Das lohnt sich nicht."

Laut Beschluss des Ältestenrats im Bundestag wurde daraufhin der Clubraum mit Tisch und Stühlen zu einem Besprechungszimmer umfunktioniert. Heute wird die Luxus-Bar lediglich für Arbeitsfrühstücke genutzt. "Vor allem mit Gästen aus dem Ausland", sagt Dietmar Kansy. Eine "Punktuell-Bewirtung" ist nach Ansicht von Franziska Eichstädt-Bohlig der richtige Weg. "Der Raum muss offen sein für Arbeitsbesprechungen, auch wegen der Kunstbeziehung." Kansy ist aber sicher: "Die bessere Nutzung kommt bestimmt nochmal auf die Tagesordnung." Bis dahin trinkt auch der CDU-Politiker seinen Kaffee lieber im Büro oder in der Nähe des Opernpalais Unter den Linden.

Sabrina Born

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