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Berlin: Reine Frauensache

Von Annette Kögel, Paris Ein Schminkkoffer kann diese Alukassette auf dem Förderband im Flughafen Charles de Gaulle nicht sein. Zu groß und zu schwer.

Von Annette Kögel, Paris

Ein Schminkkoffer kann diese Alukassette auf dem Förderband im Flughafen Charles de Gaulle nicht sein. Zu groß und zu schwer. „25 Kilo“, sagt DJ Mo. Sie selbst wiegt wohl gerade das Doppelte, weswegen die Frau aus Prenzlauer Berg ihre Vinyl-Kostbarkeiten auf einem Rollgestell transportiert: Wer seine Platten liebt, der schiebt. Von Berlin nach Dijon nach Montpellier nach Paris, zum Finale des Wettbewerbs vom Deutsch-Französischen Jugendwerk für weibliche DJs. „DJanes“ nennt der Volksmund Mädels am Mischpult. „Wenn schon, dann DJette“, sagt Mo, Jury-Assistentin mit eigenem Label, „DJane klingt nach Tarzan und seiner Jane“.

Womit die Situation in den meisten Clubs dieser Welt recht treffend beschrieben wäre. „Als Frau hast du nur eine Chance, aufzulegen, wenn du Leute kennst“, sagt Teilnehmerin Sabine Schwarz alias DJ Bee, 22, ebenfalls aus Prenzlauer Berg. „Die Männer stehen immer erst cool da und wippen höchstens mal mit.“ Harte Zeiten für Frauen am Regler. Damit das anders wird, hat das von den Regierungen finanzierte Jugendwerk gemeinsam mit Plattenlabels und Radiosendern den Frauen-Contest ausgeschrieben.

Auch „West“ und „Levis“ haben in Zeiten der Love Parade Musikmixerinnen als Zielgruppe entdeckt. DJ Bee und über einhundert andere aus Frankreich und Deutschland haben sich für den „DJ-Contest Paris Berlin“ entschieden. Jede Landessiegerin erhält 1000 Euro – und kann auf dem deutsch-französischen Wagen bei der Love Parade auflegen. Das tröstet über Wackler bei der Organisation hinweg: Nicht alle Jurymitglieder konnten alle Musikmixerinnen erleben.

Tobi hat sie alle gehört. „Ich liebe ihren Sound“, strahlt der Juror und Musikfreak vom Stadtmagazin „Flyer“. Gerade meint er aber Mo, die oben auf der Bühne im Pariser In-Club „Nouveau Casino“ Platten und Publikum aufmischt, bevor die Kontrahentinnen in der letzten Runde an den Start gehen. Mos Sound klingt wie zu Musik gewordene Stahlträger. Das rummst und perlt. Die Franzosen bevorzugen es sanfter – und deutsch: Im Szene-Club „Les Bains“ in der Rue du Bourg-l’Abbé legen Pariser Discjockeys Madonnas „Into the Groove“ über Kraftwerks „Roboter“. Bowies „Fashion“ groovt mit Grüßen aus den Achtzigern, und dann kommt noch mal Kraftwerk: „Sie ist ein Model und sie sieht gut aus.“ So, wie sich viele auch Mädels an der Plattennadel wünschen. Die Zeremonienmeisterinnen können sich in jeder Beziehung sehen lassen. DJ Shee-La aus Köln wischt melodisch über die Platten, als wolle sie Fliegen verscheuchen. DJ Stéphanie aus Montpellier tanzt hinterm Turntable, DJ Pal aus Neukölln touchiert die Regler zart wie Blütenknospen, und DJ Yselt aus Montpellier dirigiert ihren Sound mit ausgestreckten Armen. DJ Bia aus Friedrichshain ist wie Kollegin Miss Kitty Hawk aus Wermelskirchen gerade mit dem Zug aus Montpellier angekommen. „Wir sind völlig fertig und haben Hunger.“ Doch eine Club-Jury kennt kein Pardon. Eine halbe Stunde, mehr Zeit gibt es nicht pro Set. Jetzt kommt es darauf an. Auf die Dramaturgie: harmonisches Überlappen, überraschende Breaks, Höhepunkt und Chill-Out. Oder wie Tobi sagen würde: „Es muss rocken.“ Virtuosität an den Reglern entscheidet, und die Lautstärke. „Dafür haben Frauen ein besseres Gefühl, die wollen nicht nur Krach machen“, sagt Mo. Für 250 Euro kann man sich spezielle Ohrstöpsel fertigenlassen. Miss Kitty Hawk würde so was gut tun: „Ich hab oft so ein Fiepen im Ohr.“

Die Pariser Gendarmerie indes wird hellhörig, wenn ihr etwas von der Pariser Love Parade, der „Technoparade“, zu Ohren kommt. Rund 130 000 Raver waren bei der ersten Technoparade an der Seine vor vier Jahren. 2001 wurde sie sicherheitshalber abgesagt. „Es gab immer Ausschreitungen“, berichtet Julie Michon vom Pariser Szenemagazin „VSD“. Zoff statt Liebe. Nun versucht die Techno-Gemeinde, sich zu illegalen Partys zu treffen, sogar ein Lobbyverband „Technopol“ hat sich gegründet. Doch wegen Drogenvergehens greift die Polizei immer wieder ein, schrieb jüngst auch „Le Monde“.

Beim Contest im Nouveau Casino darf man noch nicht einmal mit einem Glas Pernod auf den Bürgersteig vor den Club treten: So was schickt sich nicht. Hinterher, während des Couscous-Essens beim Marokkaner um zwei Uhr nachts rechnen Alexandra Kinne vom „Bureau de la Musique Francaise“ und Corinne Bouillon vom französischen Veranstaltungsbüro, beide in Berlin-Prenzlauer Berg, ordentlich die Gebühren ab, die für das französische Pendant der Gema fällig sind. Sie erzählen, dass immer mehr französische Künstler von der Seine an die Spree ziehen, „Miss Kittin“ zum Beispiel. Doch das Schild „Station Motte“ im Metro-Bahnhof Voltaire huldigt nicht dem Dr. und Macher der Love Parade, sondern Stationsdesigner Joseph André mit dem gleichen Nachn.

Die Deutschen wiederum lassen sich in Paris inspirieren. Jury-Mitglied Yasmin Ahmadiar von Radio Sputnik ist auf ihrer Recherchetour für den Online-Clubchannel des MDR nicht zu bremsen: von einem Club und noch einem Plattenladen zum anderen. Vielleicht sind dort bald Scheiben von Karine Boutin alias „DJ Purdey“ aus Nantes zu hören - sie wird als französische Siegerin ermittelt. Bei den Deutschen geht die 22-jährige Veranstaltungstechnikerin DJ Bee aus Prenzlauer Berg als Siegerin hervor. Wie sie zum Mixen kam? „Ich habe solche Decks zum ersten Mal bei meinem Freund zu Hause gesehen – und da war es um mich geschehen.“ Männer sind also doch zu etwas nütze.

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