zum Hauptinhalt
Reinhard Dickel (1951-2018).

© privat

Reinhard Dickel (Geb. 1951): Bohemien, Pygmalion

Er kam aus einer Funktionärsfamilie, vorgesehen war ein gerader DDR-Weg. Im Kofferraum eines Diplomatenautos floh er aus dem Osten. Er wollte frei sein, malen.

Ein Bohemien. Aber keiner, der von Kaffeehaustisch zu Kneipentresen schlendert und dabei nur schwatzt über all die Ideen, die in seinem Künstlerkopf stecken, und keine von ihnen umsetzt. Reinhard Dickel hatte weder etwas gegen Kaffee und schon gar nichts gegen die Kneipe. Doch er schuf, ununterbrochen. Malte, rauchte, malte, trank, malte, aß auch hin und wieder etwas. Trug die Farbe mit dem Pinsel auf, mit Spachtel, Rakel, Löffel, mit seinen Händen, auf Leinwände, zwei mal drei Meter groß, expressiv die Farben, die Formen, zerrupfte Flächen, sehr genau komponiert, alles leuchtend, floral, aber erhaben über den geringsten Kitschverdacht. Vor der blumigen gab es die dunkle Phase, dunkles Braun, dunkles Blau, Schwarz. Auch feine, langsam gezogene Linien. Auch das kleine Format.

Dunkle Bilder – dunkles Gemüt; helle Bilder – Heiterkeit? Nicht nur. Die farbigen Bilder verkauften sich schlicht besser. Obwohl Sammler sich zuerst für seine sinistren Werke interessierten: Das Haus der ehemaligen Heeresfilmstelle in Ruhleben stand noch, man suchte einen Maler, der dieses Naziungetüm mit abstrakter, wie es einmal hieß: „entarteter“ Kunst erschlägt. Moderne gegen nationalsozialistischen Größenwahn. Es gelang mit Reinhard Dickels Bildern.

Fürs Rebellische, Renitente war er ohnehin zu haben, schon immer. Er hatte gelernt, sich aufzulehnen, gegen die Eltern, gegen Hierarchien. Der Vater, ein hohes Tier in der DDR, Bruder des Innenministers, hatte einen geraden DDR-Weg für seinen Sohn vorgesehen; die Mutter, ein puppenhaftes Wesen, verwöhnte das einzige Kind, neigte jedoch zur Hysterie . Das Kind hatte weiße Kniestrümpfe zu tragen, die selbstverständlich sehr schnell nicht mehr weiß waren, woraufhin sie begann zu schreien. Reinhard begann zu stottern. Halt fand er bei den Großeltern, in ihrem Garten, wo er sich schmutzig machen durfte, und wo er aufhörte zu stottern.

Er hörte Janis Joplin und wollte Kunst studieren

Er fing an zu zeichnen, die Tiere im Friedrichsfelder Tierpark, nahm in einem Kunstzirkel Unterricht, zusammen mit den anderen Bonzenkindern vom Pankower Majakowskiring, wo DDR- Funktionäre in ihren Villen wohnten. Auch das heilte ihn nicht von seiner Renitenz, man schleppte ihn zu einem Kinderpsychologen, bei dem er gemeinsam mit anderen Auffälliggewordenen für eine Weile wohnen musste.

Nach der Schule eine Lehre beim VEB Carl Zeiss in Jena, die der Vater wollte, Reinhard aber gar nicht. Also unterlief er jede Hierarchie, stellte sich in der Betriebskantine in der „Meisterschlange“ an, trieb sich nachts draußen herum, hörte Janis Joplin und Jim Morrison, wurde als der schlechteste Lehrling seit Bestehen der Carl-Zeiss-Werke entlassen. Er war stolz darauf.

Und beeilte sich, zurück nach Berlin zu kommen, wurde Bohemien. DDR-Bohemien, um genau zu sein. Denn in der DDR war es untersagt, einfach so durchs Leben zu schlendern, nur für sich zu malen. Man hatte eine feste Arbeitsstelle vorzuweisen. Die Theaterwerkstätten in der Chausseestraße waren ein Auffangbecken für derlei scheiternde Existenzen. Manche dort arbeiteten tatsächlich, andere, darunter Reinhard, amüsierten sich mehr und erholten sich von den langen Prenzlauer-Berg-Nächten, vom Trinken, Rauchen, Debattieren.

Doch das Trinken, Rauchen, Debattieren hat ihm ja nicht genügt, er hatte einen Plan, er wollte raus aus dem Osten, wollte Kunst studieren, frei sein. Raus kam er im Kofferraum eines Diplomatenautos. Und legte dann richtig los: 1973 begann er sein Studium an der Hochschule der Künste, 1979 schloss er es als Meisterschüler von Klaus Fußmann ab.

Die Freunde seiner Kunst machte er froh

Die Präsenz seiner Bilder entsprach der Präsenz seiner Erscheinung. Diese Energie, die raumgreifende, körperliche Wirkung, sein vehementes Reden, das kein Palavern war. Vielleicht erdrückte er auch manchen, manche Frau. „Er war ein Pygmalion“, sagt eine, die 15 Jahre mit ihm gelebt hat. Pygmalion: bei Ovid ein Künstler, der sich boshaft von den Frauen ab- und nur noch seiner Bildhauerei zuwendet.

Doch die Freunde seiner Kunst, die er um sich scharte, die seine großformatigen Bilder erwarben, machte er froh. Freunde, die ihm halfen, auch mit Geld, nie aus Mitleid, sondern weil er gut war, ein ernstzunehmender Maler. Er stellte aus, in einer Berliner Galerie, einer Hamburger, doch der große Aufstieg blieb aus.

Dann die Krankheiten, eine lädierte Hüfte, der Krebs. Er hörte auf zu trinken, zu rauchen, absolute Abstinenz. Es ging ihm besser, sehr viel besser. Die Energie kehrte zurück, Euphorie, jetzt, dachte er, jetzt kommt der große Durchbruch. Unterstützer in der Kunstszene hatte er.

Er starb allein zu Hause, „vollkommen unerwartet“, wie seine Freunde in der Traueranzeige schrieben. Vermutlich an Herzstillstand.

Die Nachrufe der vergangenen Wochen lesen Sie hier.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false