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Berlin: Respekt vor der Eigenverantwortung

Zur Debatte über die Deutschpflicht auf dem Schulhof

Von Sybille Volkholz Der Gebrauch und die Pflege der Muttersprache von Kindern mit Migrationshintergrund in den Schulen ist seit langem Gegenstand heftigster Debatten, die gerne mit viel Emotionen geführt werden. Von allen Beteiligten wird eigentlich nie bestritten, im Gegenteil immer beteuert, dass der Erwerb der Verkehrssprache Deutsch unstrittig sei. Umstritten sind Verfahren und Methoden des Spracherwerbs. Was ist aber am derzeitigen Streit bemerkenswert?

1. Bei der Regelung, Deutsch auf dem Schulhof der Herbert-Hoover-Schule zu sprechen, handelt es sich nicht um eine flächendeckende Anordnung des Berliner Schulsenators (eine solche wäre in der Tat sehr kritikwürdig), sondern um eine von der Schulkonferenz getroffene Regelung für die Kommunikation zwischen Schülerinnen und Schülern. Begründung ist die Deutschförderung einerseits und die bessere Verständigung zwischen den verschiedenen Muttersprachlern. Nur wenn hier wirklich ein Grundrecht außer Kraft gesetzt würde, müsste die Regelung angegriffen werden. Da sie aber keine negativen und diskriminierenden Sanktionen vorsieht und lediglich eine positive Vereinbarung zur Verständigung darstellt, ist sie rechtlich wohl kaum angreifbar. Auch wenn man unterstellen würde, dass Schulkonferenzen häufig nicht wirklich die eigenständige Willensbildung von Eltern, Schülern und Lehrern bekunden, so hätte spätestens jetzt jeder Beteiligte die Möglichkeit, den Beschluss zu monieren. Doch im Gegenteil äußern Eltern und Schülern auf Nachfrage, dass sie diese Entscheidung richtig finden. Also sollte diese Vereinbarung im Zuge der zunehmenden Eigenverantwortung der Schulen Respekt von außen verdienen.

2. Verschiedene Vereine, der Türkische Bund, der Türkische Elternverein und viele politischen Stimmen protestieren gegen diese Regelung und sehen das Recht auf den Gebrauch der Muttersprache verletzt. Wenn hier eine Mehrheit eine Minderheit unterdrückt hätte, könnte ich eine solche Stellungnahme verstehen. An der Schule hat die Mehrheit der Migranten, Eltern wie Schüler, diese Regelung beschlossen. Eine Mehrheit hat sich eigene Regeln gegeben, weil sie ihre Integration damit fördern will. Wen wollen die Protestierer eigentlich schützen? Die türkischen Eltern und Schüler vor sich selber? Es kommt einer Entmündigung der Beteiligten gleich, wenn Ihnen das Recht zu dieser Entscheidung abgesprochen oder Unkenntnis der eigenen Rechte unterstellt wird.

3. Das Schulgesetz von Berlin wie auch das Modellvorhaben „eigenverantwortliche Schule“ sehen für die Schulen größere Eigenständigkeit in ihrer Profilbildung und pädagogischen Gestaltung vor. Davon machen mittlerweile mehrere und hoffentlich bald alle Schulen Gebrauch. Es wird zu Profilbildungen kommen, die nicht auf ungeteilte Zustimmung in der Öffentlichkeit stoßen. Dabei wird doch gerade in aktuellen Debatten darüber geklagt, dass unser Bildungswesen bei Reformen zu schwerfällig sei. Der Pragmatismus, mit denen angelsächsische oder skandinavische Länder an die Lösung von Problemen gehen, gilt als beispielhaft. Die unzureichende Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist unzweifelhaft ein solches Problem, zu dessen Lösung bisher niemand den Stein der Weisen gefunden hat. Wenn eine Schule einen eigenen Weg ausprobiert, darf sie nicht reflexhaft attackiert werden. Vielmehr sollten sich alle in der Bildungspolitik Agierenden fragen, ob sie nicht besser mit gelassenem Pragmatismus die Schulen zu Innovationen und Eigenständigkeit ermuntern sollten, anstatt die Schlachten der Vergangenheit zu schlagen.

Die Autorin war von 1989 bis 1990 Schulsenatorin im rot-grünen Senat.

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