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Berlin: Richter über leere Kassen

Das Bundesverfassungsgericht und Niedersachsens Staatsgerichtshof haben schon 1989 und 1997 über die Grenzen der Verschuldung entschieden

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Das Berliner Verfassungsgericht muss nun entscheiden, ob der Haushalt 2002/03 verfassungswidrig ist. Es betritt damit kein juristisches Neuland. Das Bundesverfassungsgericht und der niedersächsische Staatsgerichtshof haben zur Frage, wo die Grenzen der Staatsverschuldung liegen, schon wegweisende Urteile gefällt. Das Grundgesetz gibt die Linie vor: Die öffentlichen Kreditaufnahmen dürfen die Investitionsausgaben nicht überschreiten. „Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.“

Aber was sind Investitionen? Wann ist das ökonomische Gleichgewicht gestört und was ist rechtlich zulässig, um dieser Störung entgegenzutreten? Investitionsausgaben sind, so stellten die Karlsruher Richter 1989 fest, alle im Etat veranschlagten Mittel für Baumaßnahmen, für „sonstige“ Investitionen und die Investitionsförderung, soweit sie eigenfinanziert sind. Also ohne Drittmittel, etwa aus EU-Fördertöpfen. Berlin hat sich daran selten gehalten. Finanzmittel des Bundes und aus Brüssel wurden den Investitionsausgaben regelmäßig zugeschlagen. Eine unerlaubte Schummelei.

Für den aktuellen Verfassungsstreit spielt das aber keine Rolle: Die Nettoneuverschuldung des Landes Berlin ist 2002/03 zweieinhalb Mal so hoch wie die Investitionsausgaben. Ein Zustand, der sich auch mit zweifelhaften Rechenoperationen nicht wegdefinieren lässt. Vor der Verabschiedung des Doppeletats am 28. Juni sagte Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) deshalb klipp und klar, dass der Haushalt „in diesem Punkt objektiv rechtswidrig ist.“ Es sei trotzdem die Meinung vertretbar, dass der Landesetat „wegen des gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichts nicht verfassungswidrig ist.“ Anschließend rechnete der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) vor, was passiert, wenn die staatliche Kreditaufnahme dem Investitionsvolumen angepasst würde: Es müssten allein in diesem Jahr 4,3 Milliarden Euro zusätzlich eingespart werden. „Dann würde in der Tat in Berlin das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zerstört werden.“

Das Bundesverfassungsgericht gesteht dem Haushaltsgesetzgeber „bei der Beurteilung, ob eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliegt oder unmittelbar droht, und bei der Einschätzung, ob eine erhöhte Kreditaufnahme zu ihrer Abwehr geeignet ist, einen Beurteilungs- und Einschätzungsspielraum“ zu. Denn der Staatshaushalt sei ein bedeutendes politisches Gestaltungsmittel. Aber: Wenn sich der Gesetzgeber zu einer überhöhten Neuverschuldung entschließe, treffe ihn die „Darlegungslast.“ Die Regierungsmehrheit muss begründen, warum sie so handelt. Die Vermeidung zusätzlicher Ausgabenkürzungen allein rechtfertigt eine erhöhte Kreditaufnahme nicht.

1997 griffen die Verfassungsrichter in Niedersachsen dieses Argument auf, als die CDU-Opposition gegen den Landeshaushalt der SPD-Regierung von 1995/96 klagte. Zunächst wies der Staatsgerichtshof nach, dass die Investitionssumme im Etat künstlich aufgeblasen war. Dann befasste sich das Gericht mit dem „Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum“ des Gesetzgebers, eine Störung der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung im Land festzustellen und sich um deren Beseitigung zu bemühen. Es sei nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts, die Haushaltspolitik „auf Richtigkeit“ zu überprüfen, hieß es im Urteil. Schließlich übernehme die Regierungsmehrheit im Parlament mit der Verabschiedung des Etats ausdrücklich die Verantwortung für eine Höherverschuldung.

Trotzdem hob der Staatsgerichtshof mahnend den Zeigefinger: Die Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers müsse nachvollziehbar und vertretbar erscheinen. „Es genügt nicht, dass sie frei von Willkür ist.“ Die zusätzliche Neuverschuldung müsse „nach Umfang und Verwendung“ bestimmt und geeignet sein, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts wenigstens abzumildern. Dies müsse der Gesetzgeber in Stellungnahmen oder im Verlauf der parlamentarischen Beratungen begründet darlegen.

Und wenn sich die Landesregierung höher verschulde, um zusätzliche Ausgabenkürzungen zu vermeiden, müsse sie erklären: „Welche Bereiche von den sonst notwendigen Einsparungen betroffen wären, wie negativ sich diese Einsparungen auf die Beschäftigung auswirken würden, welche wirtschafts- und beschäftigungsfördernden Maßnahmen unterbleiben müssten, wo die rechtlichen Grenzen möglicher Einsparungen lägen und welche positiven konjunkturellen Wirkungen durch den Verzicht auf Haushaltskürzungen erwartet werden.“ Allgemeine Hinweise reichten nicht aus.

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