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Berlin: Rituelle Taufbäder und koscherer Wein

Die Jüdischen Gemeinden in der Stadt feierten die Lange Nacht der Synagogen. Die einen mit Kulturprogramm, die anderen mit Diskussionsrunden

Im Nachhinein, sagt Bernhard Geyer,war es ein Glück, dass die Wehrmacht die wertvollen Kerzenleuchter und andere Gemeinde-Devotionalien im Boden der Synagoge einbetoniert hat. „So waren sie geschützt, wie Fossilien, und blieben trotz Bombardierung des Hauses im Krieg erhalten.“ Die Fossilien stehen heute im Museum der Synagoge in der Oranienburger Straße. Und Geyer kann davon erzählen, was nur ein kleiner Ausschnitt aus der Geschichte des 1866 erbauten Gebäudes ist.

Es ist die Lange Nacht der Synagogen. Im Rahmen der 18. Jüdischen Kulturtage gewähren fünf sonst oft verschlossene Synagogen der Berliner Jüdischen Gemeinde Einblicke in ihren Alltag. Geyers Führung ist eines der Angebote, mit denen das Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße etliche Besucher gelockt hat. Die Menschenschlange, die Geyer durch die Gänge im dritten Stock folgt, ist beachtlich. Irgendwann kollidiert sie mit einer anderen beachtlichen Schlange: Besuchern, die sich rituelle Taufbäder erklären lassen.

Volker Hobrack ist mit seiner Frau gekommen, „der interessanten Ausstellungen wegen“. Er will Fanny Hensels Musikzimmer und eine Dokumentation über Kinder sehen, die während des Zweiten Weltkrieges aus Berlin geflohen sind. Im dritten Stock beginnt ein Klavierkonzert, als eine Frau mittleren Alters sich ihren Hut und Mantel an der Garderobe abholt. „Ich wollte unbedingt die Führungen mitmachen.“ Was sie gesehen und gehört hat in der vergangenen Stunde, finde sie „sehr beeindruckend“. Im dritten Stock unterhält ein Weinhändler zwei junge Damen mit Ausführungen über koscheren Wein: „Ohne Schwefel, macht keine Kopfschmerzen, auch wenn man mal zwei Flaschen getrunken hat.“ Die beiden kichern. Eine Mutter befragt den Weinhändler zu den Kippot, den typischen Kopfbedeckungen, die er auch verkauft. „Die weiße ist für besondere Feiertage“, sagt er. Einem jungen Mann muss er erklären, dass die mit dem authentischen Muster eines Basketballs keine tiefere Bedeutung hat. Dann sagt er der Mutter noch, dass nur in liberalen Gemeinden Frauen Kippot tragen, in orthodoxen Gemeinden eher nicht.

In der Synagoge am Fraenkelufer in Kreuzberg sitzen Kippot nur auf Männerköpfen. Der Abend dort entspricht eher dem Charakter einer Universitätsvorlesung als dem eines Kulturfests. Es geht um Feste, um jüdische Feiertage und Bräuche im Vergleich zu christlichen. Es ist spannender, als es das Programmheft vorher vermuten ließ. Zwischen Gemeindevorstehern und Besuchern entspinnt sich ein Frage- und Antwort-Spiel.

Am Rand gibt es an diesem Abend noch ein anderes Thema als die Veranstaltungen. Man hört Besucher die aktuelle öffentliche Debatte um Integration und Parallelgesellschaften besprechen. Die Wachmänner in der Oranienburger geben sich unbeeindruckt. „Keine besonderen Sicherheitsmaßnahmen“, sagt einer. Die Besucher müssen eine elektronische Schleuse passieren, wie man sie von Flughäfen kennt. Am Fraenkelufer auch. Dort verbringen die Polizisten einen ruhigen Abend vor der Tür.

Marc Neller

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