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Berlin: Rock aus Detroit trifft Blues aus Berlin

Mitch Ryder startet seine Tournee mit der Band Engerling

„Oh Mann, ich brauch’ eine Zigarette.“ Mitch Ryder sieht zerknirscht aus. Dabei war der Flug von Detroit nach Berlin – auch wenn er zu Ryders Ärger nicht in der Ersten Klasse stattfand – wohl erholsam, verglichen mit dem, was ihn noch erwartet. In den nächsten 31 Tagen wird der US-Blues- Rocker mit legendärem Status 27 Konzerte in Europa geben, unter anderem am 21. Januar im Kesselhaus in Prenzlauer Berg.

Begleitet wird der 55-Jährige dabei von Engerling, einer Band, die sich einen ähnlich legendären Ruf erworben hat – wenn auch in einer völlig anderen Welt. Heiner Witte, Manne Pokrandt und Wolfram Bodag waren in der DDR keine Staatsfeinde, wurden aber auch nicht protegiert. Ein wenig seltsam wirkt das Zusammentreffen der beiden Systeme auf der Bühne. Auf der einen Seite der lässige Ryder, der die Eskapaden seiner fast vierzigjährigen Karriere bei jedem Ton durchs Mikro zu rotzen scheint, auf der anderen die Sound-Tüftler aus Berlin, die eine halbe Stunde Pause machen, wenn sie sich verspielen, um über den Fehler zu sprechen. „Das gibt es in den USA nicht, da wird gelacht, und dann geht es weiter“, sagt Ryder.

Das Ergebnis ist ein zeitloser Sound irgendwo zwischen Rhythm’n’Blues und Rock. Ihren Anfang nahm die ungewöhnliche Liaison 1988, noch vor der Wende. Ryder spielte ein Konzert in Dessau und lernte Gert Leiser, den Manager von Engerling, kennen. Man arrangierte ein kurzes Vorspielen. „Die Leute in den USA wollen immer den gleichen Kram aus den Sechzigern hören“, sagt Ryder. „In Europa wollte ich andere Sachen machen.“ Also warum nicht die eher bluesigeren Engerling als Begleitband nehmen und die Rockband in den USA lassen?

„Es funktionierte ganz gut, immerhin haben wir 1994 die CD ,Rite Of Passage’ zusammen eingespielt.“ Auch wenn Bodag beim ersten Zusammentreffen mit seinem Idol so nervös war, „dass ich fast seine Zigarettenkippen eingesammelt und aufbewahrt hätte“. Über drei Ecken hatte sich Bodag zu DDR-Zeiten Ryders Platten besorgt oder die Lieder am Radio mitgeschnitten, die Engerling später selbst coverte. „Und jetzt spiele ich schon zum sechsten Mal eine Tournee mit Mitch. Das ist schon seltsam.“ Ryder fühlt sich geschmeichelt. „Das haben sie mir nie gesagt.“ Er wirft den Zigarettenstummel in die Ecke, schaut hoch in den grauen Himmel und erinnert sich, dass er noch etwas erledigen muss. „Ich muss noch mal zur Fluglinie. Wenigstens auf dem Rückflug will ich in der Ersten Klasse sitzen, da kann man seine Beine ausstrecken.“ Das wird er müssen, nach 27 Konzerten.

Christian Hönicke

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