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Berlin: Rudolf Kegenbein (Geb. 1941)

Sein Leben muss viel Geld gekostet haben.

Ist das nicht ein schöner Name: Kegenbein?“ fragt Katharina H. Rau und kantig klingt der Name, passend zu seinem Besitzer. Katharina H. legt ein Foto auf den Tisch, „das ist er“. Es zeigt einen Mann vom Format 007. Groß, muskulös, braun gebrannt und bekleidet mit einer weißen Sechzigerjahre- Badehose, steht er auf einem Mäuerchen in Spanien. Ein markantes Gesicht mit blauen Augen und einem sinnlichen Mund. Er schaut aufs Meer. Zu seinen Füßen steht der Jaguar, dem er kurz zuvor entstiegen sein muss.

Anders als James Bond liebte er nicht Martini, sondern Weinbrand, bevorzugt in Kombination mit einem schnellen Auto. „Er wird viele Unfälle gebaut haben.“ Von einem hat er Katharina H. erzählt, und dieser endete mit dem Tod. Ob Kegenbein am Steuer saß, weiß Katharina H. nicht. Doch sie weiß, dass Kegenbein das Bild des vornüber gesunkenen Kopfes seines Mitfahrers nie wieder loswurde. Und dass Kegenbein nicht auf den Rettungswagen wartete. Er humpelte selbst ins Krankenhaus, mit einem Bein, von dem die Ärzte meinten: „Das muss amputiert werden.“ „Mein Bein bleibt dran“, will Kegenbein geantwortet haben. Gehorsam wurde operiert und von innen geschient. Nach wenigen Tagen zog er sich die Schiene wieder heraus und verschwand so grußlos, wie er gekommen war.

Wieder greift Katharina H. in die Fotokiste. Als sie Kegenbein kennenlernte, hatte er bereits einen großen Teil seines Sprachvermögens eingebüßt, das Erzählen kostete ihn viel Mühe. Also legte er ihr wieder und wieder seine Fotos vor. Puzzleteile, von denen er hoffte, dass sie für Katharina H. ein Bild ergeben würden.

Kegenbein mit einer Eule, die aus seiner Jacke herauslugt. Kegenbein mit einem Falken auf der Hand. Kegenbein, der mit seinen Lippen die Brust eines Sittichs streift. „Ich sage gleich etwas dazu. Sehen Sie sich erst mal noch diese hier an.“ Kegenbein in diversen Rennwagen, den Blick fest auf den Asphalt geheftet. „Formel Vau – Flugplatzrennen 1968“ steht unter einem Bild. „Vögel und Autos“, sagt Katharina H, „das heißt Geschwindigkeit, Losgelöstheit. Er genießt und kontrolliert. Er ist der Herr der Lüfte.“

Sie ist sich sicher: Kegenbein war ein Herrscher. Die Tiere waren ihm hörig und auch viele Menschen. Er wurde gefürchtet, vergöttert und bemühte sich um einen statusgemäßen Lebensstil. Die Autos, der Jagdschein, das Haus in Grunewald, die Reisen, all das muss viel Geld gekostet haben. Woher es kam? „Tja“, sagt Katharina H. „Ich weiß, dass er eine Lehre zum Werkzeugmacher machte und dann eine Autowerkstatt in der Yorkstrasse führte.“

Irgendwann muss Kegenbein sich selbst überholt haben. Er schlitterte „ins Milieu“, mehr wollte er Katharina H. über diese Zeit nicht erzählen. Als „das Milieu“ ihn wieder freigab, gehörte ihm die Werkstatt nicht mehr. Auch das Geld, sein Führerschein und viele Freunde waren fort. Geblieben aber war sein Stolz. Er handelte jetzt mit Fahrrädern. „Jedenfalls stand seine Wohnung voll mit ihnen.“ Abends zog er durch die Schöneberger Kneipen, einige hat er später Katharina H. gezeigt. Dann ließ er sich einschenken und schaute herausfordernd in die Runde. Wollte er jemanden sehen, klingelte er einfach, und wenn es drei Uhr Morgens war. Ungeduldig war er und voller Verlangen.

Das blieb auch, als er ins Pflegeheim eingeliefert wurde, in dem Katharina H. arbeitete. „Ein Schlaganfall. Der wird nicht mehr rauskommen“, urteilten die Ärzte. Kegenbein aber absolvierte sein Training, wie es Katharina H. noch bei keinem beobachtet hatte. Sie erkannte: „Den hier zu behalten ist, als würde man einen Tiger in eine Besenkammer sperren.“

Sie suchte ihm eine neue Wohnung in der Nähe des Heims. Nach der Arbeit kam sie vorbei, trank einen Kaffee, sah zu, wie er mit einer Hand seine Waschmaschine reparierte. Sie pflegte seine Füße und schnitt ihm die Haare. Lachte über seine Scherze. Lobte seinen geschmeidigen Rollstuhl-Fahrstil. „Mein Schatz!“, rief er, wenn er sie zufällig auf der anderen Straßenseite erblickte. Tief und autoritär klang seine Stimme.

Ein dreiviertel Jahr nach ihrem Kennenlernen traf ihn der zweite Schlaganfall. Ihm blieben die Wörter „Ja“, „Nein“, „Scheiße“, „Kegenbein“ sowie: „Mein Schatz“. Es reichte für die beiden, für Kegenbein und Katharina H. Sie legte ihm Sätze vor, und er gab an, ob es die richtigen waren. Bis ein dritter Schlaganfall ihn in eine tiefe Bewusstlosigkeit versetzte, aus der er nicht wieder erwachte. Anne Jelena Schulte

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