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Berlin: Rudolfplatz: Ein Professor kehrt heim - und dreht einen Film

Eigentlich hatte er "die Nase voll von Filmen", wollte endlich ein Buch schreiben, und zwar über das Viertel, in dem er die ersten zehn Jahre seines Lebens verbracht hat. Außerdem ist Martin Wiebel, langjähriger Chefproduzent des WDR-Fernsehspiels in Köln, 1998 zurück gekommen in das Quartier Rudolfplatz, um das bis dato ziemlich heruntergekommene Gebiet am U-Bahnhof Warschauer Straße wohnlicher zu machen.

Eigentlich hatte er "die Nase voll von Filmen", wollte endlich ein Buch schreiben, und zwar über das Viertel, in dem er die ersten zehn Jahre seines Lebens verbracht hat. Außerdem ist Martin Wiebel, langjähriger Chefproduzent des WDR-Fernsehspiels in Köln, 1998 zurück gekommen in das Quartier Rudolfplatz, um das bis dato ziemlich heruntergekommene Gebiet am U-Bahnhof Warschauer Straße wohnlicher zu machen. Er lebt in einer großzügigen Wohnung im eigenen Haus, Rotherstraße 3, wo er 1943 geboren wurde. Als ein befreundeter Filmproduzent auf ihn zu kam und um einen Film über seine alte - und neue - Heimat bat, hat der 58-Jährige eher widerwillig ja gesagt - aus Familiensinn sozusagen. Denn sein Urgroßvater Maximilian Koch hat viele Häuser dort gebaut. Der Film über Leben und Arbeiten im Stralauer Kiez soll im kommenden Jahr ausgestrahlt werden, zu dessen 100-jährigem Geburtstag. Dafür sucht der Dokumentarfilmer Zeitzeugen und Fotos.

Koch war Ziegelei-Besitzer und Baustoffhändler. In der zweiten Phase der Gründerzeit um 1880 verkaufte er Grundstücke - unter der Bedingung, dass die Bauherren bei ihm die Ziegel kauften. Seine Brüder, Architekt und Stukkateur, waren mit von der Partie, so dass auf der Brache an der Spree ein neues Wohngebiet entstand. Der Film soll nicht vorrangig die Industriegeschichte, sondern Wohnen und Alltag dokumentieren.

Seine Professur an der Filmhochschule in Ludwigsburg und sein Engagement für das Quartier lassen Martin Wiebel nicht viel Zeit für das Projekt. Als er vor drei Jahren einzog, war sein Haus wie das Karree zwischen Stralauer Allee, Warschauer Straße und Markgrafendamm vernachlässigt. Eins kam zum andern, inzwischen arbeitet er in der Initiative SOS ("Sauberkeit, Ordnung, Sicherheit") mit und hat mit elf Hauseigentümern die "Interessengemeinschaft Oberbaum" gegründet, um die Gegend für den Mittelstand attraktiver zu machen. "An die Bausachen bin ich mit spitzen Fingern rangegangen", erinnert sich Wiebel, "ich hatte ja keine Ahnung." Aber dann hat er bald festgestellt, dass Bauen und Filmen viel gemeinsam haben: "Das sind beides qualifizierte Betrügerbranchen, und immer geht es darum, wie man an Geld kommt."

Noch ist der Stralauer Kiez, Teil des EU-geförderten "Problemgebiets" um den Bahnhof Ostkreuz, alles andere als bevorzugte Wohnlage, obwohl die Oberbaum-City in den denkmalrestaurierten Osram- und Narvagebäuden eine strahlende Neue-Medien-Zukunft verspricht. Aber die jungen Leute der Internetbranche etwa der Firma Pixelpark suchen bislang vergeblich nach Sushi-Läden und was man sonst so in der Mittagspause braucht. Nur ein Bäcker verkauft Schrippen, erst vor Kurzem ist ein Supermarkt hinzugekommen.

Dabei sind die meisten der denkmalgeschützten Fassaden schon saniert, und dreckig ist es nach heftigen Verhandlungen von Hauseigentümern und BSR auch nicht mehr. Doch das Viertel, dem die Spree im Süden und die Bahngleise im Norden eine ruhige Insel-Atmosphäre geben, hat seit dem Mauerfall über 1000 Bewohner verloren, die Arbeitslosigkeit ist hoch, Grün gibt es kaum. Als erste Aktion hat Wiebel mit den anderen Eigentümern zehn Rotdornbäume gekauft und pflanzen lassen.

Nun will sich der Wiebel, der mit seinem legeren Jackett und dem samtenen Schal dezent extravagant wirkt und nicht so recht in das alte Arbeiterviertel zu passen scheint, gegen das geplante Parkhaus auf dem unbebauten Grundstück zwischen Ehrenberg- und Lehmbruckstraße wehren. Ursprünglich waren dort 300 Wohnungen vorgesehen, nun sollen dort 1000 Autos parken können - und das würde genau das fördern, was Wiebel verhindern will: das Ausbluten des Wohnviertels am Rudolfplatz, das Umkippen vom Wohn- zum Büroviertel. Denn obwohl er als junger Mann stets gelangweilt abgewunken hat, wenn seine Großmutter "schon wieder" von der guten alten Zeit in der "Lichterstadt" erzählte, hat er nun, als neuer alter Bewohner, sein Herz für deren Vorzüge entdeckt. Auch deshalb dreht Wiebel diesen Film: nicht nur als stadthistorisches Dokument, sondern als Hommage an ein Quartier mit großem Potential.

Wiebels Tatendrang, angemessen umgeben von einem weitläufigen, parkettierten Berliner Zimmer, in das der gerahmte Uropa ehrwürdig schaut, scheint ebensowenig zu bremsen wie sein Redefluss. Auch nicht dadurch, dass seine Mutter, die Wiebel als Zeitzeugin vor die Kamera holen wollte, gerade gestorben ist. Der Film wird trotzdem gedreht, jetzt erst recht, und das Buch - das schreibt er eben später.

Katharina Körting

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