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Diese Kinder freuen sich über das neue Wohnprojekt, das in Berlin für Roma-Familien in Berlin-Neukölln am 14. September.

© dpa

Rumänen in Berlin: Mehr als Bettler und Hütchenspieler

Wahrgenommen werden sie meist, wenn es um Roma-Flüchtlinge geht. Doch die Rumänen bereichern Berlin auf vielfältige Weise.

Als Hermine-Sofia Untch im Radio von der Suche Neuköllner Schulen nach Rumänisch sprechenden Lehrern hörte, um eingewanderte Roma-Kinder intensiver betreuen zu können, reagierte sie umgehend: Sie rief die Röntgen-Schule an und empfahl eine Reihe ihr bekannter Kandidatinnen aus Rumänien. Mit Erfolg: Fast alle der Roma-Kinder können nun in ihren Schulen spezielle Deutsch-Kurse mit Rumänisch sprechenden Lehrerinnen besuchen. Dass Untch über so gute Kontakte verfügt, liegt daran, dass sie selbst vor langer Zeit aus Siebenbürgen eingewandert ist und sich als stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Rumänischen Gesellschaft (DRG) engagiert.

Man kann kaum sagen, dass die Rumänen als geschlossene Gruppe in Berlin auffallen. So gibt es kein rumänisches Restaurant, das den Berlinern Kostproben der aromatischen Küche des Karpatenlandes serviert. Florea Eremia von der Orthodoxen Kirchengemeinde glaubt, dass sich viele Rumänen wegen der vielen Negativschlagzeilen nicht trauen, in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Da die meisten sehr gläubig sind, ist die seit längerem im Bau befindliche Kirche an der Heerstraße mit einem rumänischen Priester ein Anker für die Berliner Rumänen: „Hierher kommen alle, vom Arzt bis zum Arbeitslosen“, sagt Eremia. Darunter auch einige der bei vielen Rumänen nicht geschätzten Roma. Eremia möchte sie nicht über einen Kamm scheren und glaubt, dass „es bei ihnen vernünftige Leute gibt“. Am 16. Oktober wird an der Baustelle das Fest der Gemeinde begangen. Beim Bau der Kirche war Anfang August eine Giebelwand eingestürzt; dabei waren, wie berichtet, ein 49-jähriger Pfarrer und ein Helfer ums Leben gekommen.

Rumänen in Berlin, das sind für viele die medial in den Mittelpunkt gerückten Roma, für Jüngere vielleicht die Band „Fanfare Ciocarlia“, deren rekordverdächtige „Beats-per-minute“ ein weltweites Publikum begeistern und die von dem Berliner Label Piranha entdeckt wurden. Oder Ausgewanderte aus der deutschen Minderheit, mit den bekannten Autoren Herta Müller und Richard Wagner, wenn diese auch längst die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

Aus der Kulturprovinz Banat ist in Berlin neben der Nobelpreisträgerin und einigen Mitgliedern der literarischen „Aktionsgruppe Banat“ auch die Autorin Carmen-Francesca Banciu präsent, deren Romane oft vor einem rumänischen Hintergrund spielen. Der einzige Rumäne in der Literaturabteilung der Akademie der Künste ist der in die USA exilierte Schriftsteller Norman Manea aus der Bukowina, der ein Berliner DAAD-Stipendium zum Verlassen des kommunistischen Rumänien nutzte.

Laut Statistik leben 8037 gemeldete Rumänen in Berlin, die meisten in Neukölln und Reinickendorf. Aber auch in Charlottenburg gibt es eine größere Zahl, die vermutlich meist vor 1989 Emigrierte umfasst. Weit größer dürfte die Zahl der Berliner mit deutschem Pass und rumänischen Wurzeln sein. Zu ihnen zählt beispielsweise die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus Ramona Pop, die in Temeswar geboren ist.

Eine feste Adresse ist für die die Öffentlichkeit suchenden rumänischen Kreativen das Rumänische Kulturinstitut (RKI) in Halensee, das nach dem Politiker und Intellektuellen Titu Maiorescu benannt ist. Dieser hat im 19. Jahrhundert einige Zeit in Berlin verbracht – wie auch die beiden anderen Klassiker der rumänischen Literatur, der Nationaldichter Mihai Eminescu und der Dramatiker Ion Luca Caragiale. Den 100. Todestag des 1912 in Berlin verstorbenen Caragiale begeht das RKI mit mehreren Veranstaltungen. Die Leiterin Cristina Hoffman sieht ihr Publikum im Wandel begriffen: „Wir haben ein treues Publikum, das uns seit Jahren besucht und sehr gemischt aus Deutschen und Rumänen zusammengesetzt ist. Zugleich sprechen wir durch Außer-Haus-Veranstaltungen und Kunstaktionen ein jüngeres, auch studentisches Publikum an, das sich über soziale Netzwerke im Internet organisiert.“ Wenige Schritte vom RKI entfernt residiert das Berliner Wissenschaftskolleg, zu dessen permanenten Fellows der frühere Außenminister Andrei Plesu, jetzt Leiter des Bukarester New Europe College, gehört.

In den letzten Jahren ist allmählich so etwas wie eine freie rumänische „community“ entstanden. Einige Rumänen haben sich im „Verein der Rumänen in Berlin und Brandenburg“ (VRBB) organisiert, der kulturelle und soziale Aktivitäten entfaltet. Im Club „clienti fideli“ (treue Kunden) treffen sich Rumänisch Lernende. Katharina Dociu, deren Eltern aus Rumänien stammen, die aber in Hamburg geboren wurde, sieht die Gruppe als Netzwerk, in dem auch Tandempartner zum Sprachenlernen und Jobangebote verbreitet werden. Es sind meist jüngere Rumänisch-Interessierte, die oft einen rumänischen familiären Hintergrund haben.

Der Pianist Cristian Niculescu begründete in der Kreuzberger Oranienstraße das „Studio Niculescu“, das sich zu einem erfolgreichen Spielort von (nicht nur) rumänischer Musik, Theater und Tanz entwickelt hat. Hier treten etwa Oana Catalina Chitu mit ihren den Bukarester Roma-Musikern abgelauschten Tangos der Zwischenkriegszeit oder die Sängerin Sanda Weigl – in Bukarest geborene Großnichte der Brecht-Ehefrau Helene Weigel – auf. Niculescus Publikum dürfte sich teilweise überschneiden mit dem der Galerie „Plan B“, die Künstler aus der äußerst lebendigen rumänischen Kunstszene ausstellt. Gerade in das frühere „Tagesspiegel“-Gebäude in der Potsdamer Straße umgezogen, verbucht die Dependance eines Ausstellungshauses in Cluj (Klausenburg) nun deutlich mehr Besucher. Ein wichtiger Kontakt der Galerie ist Marius Babias, der Leiter des Neuen Berliner Kunstvereins, der auch rumänische Künstler im Portfolio hat.

Trotz der Möglichkeiten, rumänische Kultur in Berlin zu erleben, ist das Wissen über das Land begrenzt. „Für viele ist Rumänien ein weißer Fleck, über den sie kaum etwas wissen, der dann durch merkwürdige Nachrichten in der Boulevardpresse ausgefüllt wird“, sagt Gerhard Köpernik, Präsident der DRG. Daher sieht er das Hauptziel der Gesellschaft, die Ende September ihr 20-jähriges Bestehen feiert, in Angeboten, diesen Mangel an Kenntnissen zu verringern. Dazu sollen die „Deutsch-Rumänischen Hefte“ des Vereins ebenso wie ein „Jour fixe“ mit rumänischen Vorträgen beitragen. Köpernik wünscht sich, dass auch jüngere Leute sich für das Land zu interessieren beginnen. Anknüpfungspunkte dafür bieten sich ausreichend in Berlin.

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