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Berlin: Sarrazins Bilanz: Ein Ausrutscher pro Quartal

Der Finanzsenator bringt mit seinen Äußerungen regelmäßig die Öffentlichkeit gegen sich auf – er kann nicht anders

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Vor Monaten schon hat ihn der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit gerüffelt. „Thilo, du musst nicht alles, was du denkst, öffentlich sagen.“ Aber der Appell an Sarrazin, sich zu benehmen wie ein normaler Politiker, lief ins Leere. Immer wieder rutschen dem Finanzsenator Gedanken heraus, die er besser für sich behalten hätte. So wie am Mittwoch, als er vor Wirtschaftsleuten den Protest gegen höhere Kita-Gebühren als maßlos überzogen kritisierte. „Es wird ja so getan, als ob der Senat die Kinder ins Konzentrationslager schicken wollte.“

Eine ausfällige Bemerkung, die natürlich den Weg in die Öffentlichkeit fand – über einen CDU-Kommunalpolitiker in das Boulevardblatt B.Z. Der Finanzsenator entschuldigte sich – gegen seine Gewohnheit – auf der Stelle. Die Wortwahl tue ihm außerordentlich Leid. Trotzdem fragte der CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer konsterniert, ob Sarrazin überhaupt in der Lage sei, ein öffentliches Amt zu bekleiden. Am Donnerstag wird sich der SPD-Mann vor dem Abgeordnetenhaus erklären müssen. Sarrazin habe die protestierenden Eltern in unerträglicher Weise diffamiert, schimpfte die Doppelspitze der Grünen, Sibyll Klotz und Volker Ratzmann. Er habe offenbar „das Wesen unserer Demokratie nicht verstanden“.

FDP-Fraktionschef Martin Lindner, selbst bekannt für flotte Sprüche, nannte Sarrazins Vergleich „hirnrissig und geschmacklos“. Von Regierungsseite kam nur der schmale Kommentar: „Einmal im Quartal rutscht ihm so etwas wohl raus.“ Mehr fiel Senatssprecher Michael Donnermeyer nicht ein. Aber im Roten Rathaus ließ niemand Zweifel aufkommen, dass sich Vergleiche mit der Nazizeit von selbst verbieten. Die Parteichefs von SPD und PDS, Peter Strieder und Stefan Liebich, fanden Sarrazins Äußerungen „unmöglich“. Dessen unverblümte Art habe ab und zu einen gewissen Charme, hieß es in der PDS. „Aber es gibt Ausrutscher, da möchte man in die Tischkante beißen.“

Manchmal geht es auch unterhalb der Tischplatte munter zu, wenn der Finanzsenator Vorträge hält oder Hintergrundgespräche führt. Dann darf der Pressesprecher, wenn er zugegen ist, seinem Chef kräftig gegen den Knöchel stoßen, falls der mal wieder einen Satz zu viel erzählt. Nur ist nicht immer jemand da, der ihn von der Seite warnend anhaut. Als Sarrazin über seine Beamten erzählte, dass sie „bleich und übel riechend“ über die Flure gingen, weil sie so viel arbeiten müssten, war das ein anstößiges Lob. Dafür erntete er keinen Dank. Als Sarrazin fragte, „was alternde Staatsschauspieler mit drei Auftritten im Monat mit Kultur zu tun haben“, hasste ihn die Theaterszene. Als Sarrazin den eigenen Haushalt vor dem Parlament für verfassungswidrig erklärte, standen Wowereit die Haare zu Berge. Schon im vergangenen Jahr brachte der Finanzsenator die eigene Fraktion so gegen sich auf, dass er den Abgeordneten einen Brief schreiben musste: „Ich bitte herzlich darum, schießen Sie nicht auf den Pianisten.“

Sarrazin sei wohl ein Gefangener seines offenen Charakters – und ein bisschen naiv, sagen die, die ihn mögen. Ein Anti-Populist. Und was sagt Sarrazin über Sarrazin? Er richte sein Denken und Tun nicht an dem aus, was andere über ihn denken. „Ich kann mich nur an dem orientieren, was ich selbst für richtig halte.“ Was er nicht ausstehen kann, hat der Senator vor ein paar Tagen im Verhandlungssaal des Landesverfassungsgerichts ausgesprochen: „Heuchelei und die unvollständige Wahrnehmung der Tatsachen.“ In der Welt der Politik ein geradezu gefährliches Bekenntnis.

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