zum Hauptinhalt
Die Gedenktafel für Bruno Balz in der Fasanenstraße (Wilmersdorf).

© Axel Mauruszat / Wikipedia

Schauplatz Berlin (Auflösung 1): Der Sehnsuchtsdichter

Fast an jeder Ecke in Berlin hängt eine Gedenktafel, 2820 sind es insgesamt. Der Tagesspiegel bietet jede Woche ein Gedenktafel-Rätsel. Hier finden Sie, liebe Leserinnen und Leser, die Auflösung zu unserer ersten Folge.

Die Tafel, auf der auch seine sexuelle Orientierung erwähnt wird, hängt in einer noblen Straße des Westens. Hier hatte sich Bruno Balz, erfolgreich und gutverdienend, das Haus Fasanenstraße 60 gekauft. Hier schuf er gemeinsam mit seinem Komponisten-Kumpel Michael Jary die berühmtesten Schlager des „Dritten Reiches“. Hier lebte er mit der Schein-Ehefrau und seinen Eltern, die aus dem Arme-Leute-Kiez seiner Kindheit zu ihm nach Wilmersdorf gezogen waren. Hier stellte ihm die Gestapo eine Falle, ein gutaussehender Lockvogel brachte ihn in eine verfängliche, gefährliche Schlafzimmer-Situation. Seine zweite Verhaftung. War er jetzt zwischen rivalisierende Regime-Instanzen geraten, wollten ideologische Scharfmacher der SS gegenüber den dekadenten Produktionen des Propagandaministers Goebbels an ihm ein Exempel statuieren? Heute gibt es in dem Haus außer Wohnungen Büros von Ärzten, Architekten, eine Galerie. Viel neue Klinkerverkleidung, hier ist wohl einiges zerbombt gewesen. Im Vorgarten eine Kastanie, dornige Büsche.

Damals hatten sie ihn dann, nach unendlichen Wochen, schließlich aus dem Folterverhör im Prinz-Albrecht-Palais entlassen, damit er seine berüchtigsten Verse dichten konnte: „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn“ und „Davon geht die Welt nicht unter“ – Hoffnungs- und Sehnsuchtsdrogen für die strapazierte Bevölkerung. Sein Lebenswerk allerdings umfasst mehr als diese Hits, mindestens 1037 Songs, Brettl-Lyriken, Libretti in allen Gefühlslagen, zwischen holprigem Scherzgeplänkel, zweideutiger Anmache und herzzerreißender Leidenschaft: „Nur ein zärtlicher Klang bleibt allein von dem Lied, das die Liebe uns sang.“ 

Zur Welt gekommen war der Berliner Junge am 6. Oktober vor 110 Jahren, aufgewachsen als Einzelkind eines Sattlers im Prenzlauer Berg. Früh hatte er sich dazu bekannt, schwul zu sein, stand für Fragebogen des Sexualforschers Magnus Hirschfeld zur Verfügung und Modell für den renommierten Aktfotografen Adolf Brand. Die Ausbildung zum kaufmännischen Angestellten brachte ihn nicht weiter, als Texter der Musik- und Filmindustrie entdeckte er sein Talent für die Unterhaltungsbranche: „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“ und „Kann denn Liebe Sünde sein?“ zählen ebenfalls zu den Treffern aus seiner Verseschmiede, aber auch „Mama“  und „Berlin bleibt doch Berlin“. Das Melodien-Ouevre seines bewährtesten Komponisten trug anfangs ebensoviel bei zu seiner Karriere wie die Aura der Sängerin Zarah Leander, die seine Evergreens zu den ihren machte.  Freundschaft und  Zusammenarbeit mit Jary endeten für Balz 1960, als jener die Zusammenarbeit mit der alternden Zarah zugunsten des Sternchens Heidi Brühl quittierte. 

Von dem Verdacht, mit NS-Verbrechern kollaboriert zu haben, war Bruno Balz1946 juristisch freigesprochen worden, dafür musste er seine Privatsphäre offenlegen. Trotzdem wird nach seinem Tod, 1988 in Bad Wiessee, ein Streit der Nachgeborenen zwischen seinem Erben Jürgen Draeger und der Tochter des verlorenen Freundes Michael Jary entstehen: ob der Bedrohte sich vielleicht damals, nach seinen Verhaftungen, verstellt oder als diensteifriger Parteigenosse zu sehr angepasst haben könnte – um schreckliche Zeiten zu überleben. 

Die nächste Folge von Schauplatz Berlin erscheint am kommenden Sonntag im gedruckten Tagesspiegel.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false