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Schauplatz BERLIN (Rätsel 19): Der Vater süßer Träume

Fast an jeder Ecke in Berlin hängt eine Gedenktafel, 2845 sind es insgesamt. Der Tagesspiegel bietet jede Woche ein Gedenktafel-Rätsel. Sie, liebe Leserinnen und Leser, dürfen jeweils herausfinden, ob Sie den Ort, die Person beziehungsweise das Ereignis kennen. Rätseln Sie mit bei Folge 19!

Später hat er sich an die Auftritte mit seinem Erzeuger so erinnert, als sei ihm die Erfindung, für die er selbst berühmt werden sollte, damals schon vorgeschwebt. Sein Vater, gelernter Glaser und Vergolder, eröffnete 1855 in der Alexandrinenstraße eine Fabrik für Steinpappe – Kreide mit Knochenleim –, die, in Gipsformen gegossen, als Stuckimitat dient. Der erste Sohn des Fabrikanten stirbt im Gymnasiastenalter, der zweite macht Zirkus-Karriere. Nach dem Gründerzeit-Crash geht der Stuckboom zurück. Der dritte Sohn lernt Fotografieren und Glasmalerei. Vater tingelt, als seine Fabrik pleite ist, mit einer Laterna Magica, zeigt „Nebelbilder“, hält Vorträge, zum Beispiel über Planeten und Kolonien. Sohn Nr. 3 bedient die Technik, simuliert Bewegung durch Verschieben, Auswechseln, Überblenden von Glasplatten. Zug rast über Brücke. Kellner serviert Schweinskopf. Mensch mit Schweinskopf serviert Kellnerhaupt. Wasser- und Pyro-Effekte kommen hinzu. Sohn Nr. 3 und sein jüngerer Bruder übernehmen Vaters Show-Geschäft. Mit einem mechanischen gemalten Schaubild, vier mal fünf Meter, gastieren sie in Wien, Budapest, Skandinavien.

„Vom Morgenlicht umflossen zeigt sich uns das Straßenleben in allen seinen Begebenheiten“, heißt es in ihrem Werbeprospekt. „Ueber die Bühne schreiten wunderbare Gestalten … Die Wanddecoration setzt sich in Bewegung, die Gebirgswelt umfängt den Zuschauer. Ein Maler schlägt ... seine Staffelei auf und conterfeit die herrliche Landschaft … Blitze durchzucken die finstere Wolkenwand … in Trümmern liegt das stolze Schiff, ... langsam versinkt das Wrack … Im Morgennebel breitet sich New York ... vor unseren erstaunten Augen aus.“

Vier Jahre später entwickelt Sohn Nr. 3 den Trickzauber weiter, mit anderen Bildern: zu jenem bahnbrechenden Effekt, dem Berlin heute sein größtes Festival verdankt. Die Gedenktafel für ihn, dem ausländische Rivalen seinen Pionier-Status streitig machten, steht an einem Vorortsträßchen auf einer Stange: vor einer historischen Hausfassade. Auf der kulissengleichen Front des Ziegelgebäudes, das sich hinter der Fassade als banaler Neubau fortsetzt, ist vor lauter Stuckverzierung kein Platz für die Tafel. Hier hat der „Vater der süßen Träume“, wie ihn kurz vor seinem Tod die Japaner rühmten, seine letzten 31 Lebensjahre gewohnt.

Wer war’s? Wo steht die Tafel? Auflösung am Mittwoch unter www.tagesspiegel.de

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