zum Hauptinhalt
Stehen, stehen, stehen. Selbst wer ganz vorne ist, hat keine Chance auf einen Platz im Wettbewerbsfilm. Eine Bildergalerie zum Schlangestehen finden Sie unter: www.tagesspiegel.de/stadtleben. Foto: Imago

© imago/Future Image

Schlangestehen für die Berlinale: Kein Fest fürs Publikum

Alles sollte besser werden, schneller und einfacher. Doch der Verkauf der Berlinale-Karten gibt sich divenhaft wie eh und je. Wer in einen Wettbewerbsfilm möchte, hat kaum eine Chance.

Der Security-Mann der Potsdamer Platz Arkaden macht ordentlich was her. Auf den Schulterklappen seiner Uniform prangen goldene Sheriff-Sterne. Man sollte meinen, der Mann hätte sein Hoheitsgebiet unter Kontrolle. Doch auf die Frage, warum seine Arkaden am Freitag (ausgerechnet!) um 9.10 Uhr, also zur heißesten Berlinale-Vorverkaufszeit, geräumt wurden, zucken die dekorierten Schultern nur. „Das weiß ich auch nicht, ich habe auch nur die Durchsage gehört.“ Die Durchsage forderte alle Besucher dazu auf, das Center wegen einer Betriebsstörung auf kürzestem Wege zu verlassen. Diese Durchsage werde automatisch ausgelöst. Sorry, Sheriff, die Zeiten ändern sich!

Fast empfindet man Mitleid mit ihm, wären da nicht all die Berlinale-Fans, die schon stundenlang in den Schlangen vor den Ticketschaltern ausgeharrt hatten, um Karten für ihre favorisierten Filme zu bekommen. Und dann das! Der eisern behauptete Platz in der Schlange muss aufgegeben werden für eine Räumung ohne Grund! Sybille Schmidt, 58, und ihre Tochter Steffi, 29, erzählen, dass da selbst den kultiviertesten Cineasten ein Fluch über die Lippen gehuscht sei.

Schnell machen die ersten Verschwörungstheorien die Runde. Das muss ein Probealarm gewesen sein! Ausgerechnet jetzt! Aber natürlich ausgerechnet jetzt! Wann ließe sich der Ernstfall wohl besser erproben als an einem Tag, an dem sich derart viele Menschen in den Arkaden aufhalten? So behandelt das Publikumsfestival also sein Publikum! Nein, sagt Arkaden-Managerin Tanja Lewin, alles nur Gerüchte. Der Evakuierungsknopf sei völlig unbeabsichtigt und ohne menschliches Zutun durch den herabfallenden Hörer einer Sprechanlage ausgelöst worden.

Da hat die Sprechanlage doch einiges an dramaturgischem Gespür an den Tag gelegt. Was für ein Moment! Ein Deus ex Machina bringt ein wenig Schwung in den Berlinale-Vorverkauf! Es ist fast zu schön, um wahr zu sein.

Nach zwanzig Minuten ist das Spektakel allerdings schon wieder vorbei. Die Kartenjäger versuchen, ihre alten Plätze in der Schlange wieder einzunehmen. Sie erzählen, dass das zwar noch nicht ganz in britischer Manier, aber immerhin relativ zivilisiert über die Bühne gegangen sei. Selbst wer etwas weiter hinten wieder eingegliedert wurde, nahm dies offensichtlich ohne zu murren hin.

Doch auch der Gleichmut der Berlinale-Besucher kennt Grenzen. Wenn es um die Karten für die Wettbewerbsfilme geht, hört der Spaß auf. Bodo Petermann aus Karlshorst ist ziemlich aufgebracht. Der Vierzigjährige hat extra in den Arkaden übernachtet, um sich Karten für die Top-Filme zu sichern. Doch obwohl er der Erste in der Schlange war (und blieb!), hat er keine Karten für „Kreuzweg“ mehr bekommen.

Petermann hat wie viele andere hier das Gefühl, dass mit den Jahren immer weniger Karten in den freien Verkauf gehen. „Das gilt vor allem für die Parkettplätze, auf denen man die Stars aus der Nähe sehen kann. An diese Karten kommt man so gut wie gar nicht mehr ran“, sagt er. Dem eigenen Anspruch, ein Publikumsfestival zu sein, könne die Berlinale so jedenfalls nicht gerecht werden.

Markus Schafitel, 39, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Er war am Mittwochmorgen um 5.45 Uhr zur Stelle, um Karten für „The Monuments Men“ und „Nymphomaniac“ zu erstehen. Bekommen hat er allerdings keine, obwohl nur drei andere Leute vor ihm warteten. Das hat Schafitel in seinen zwölf Berlinale-Jahren noch nie erlebt. „Ich kann mir das nicht erklären“, sagt er. Schließlich sei die Anzahl der Sitzplätze in den Kinosälen in den vergangenen Jahren sogar gestiegen.

Ingo Franke, der Leiter des Ticket Office der Berlinale, kann sich wiederum nicht erklären, warum die Besucher diesen Eindruck gewinnen. „Die Kontingente im freien Verkauf sind nicht kleiner geworden“, sagt er. Zahlen will er zwar nicht nennen, sagt aber: Die Kontingente, die über das Internet vertrieben werden, seien erhöht worden. Er meint: „Dadurch, dass die Besucher ihre Tickets jetzt zu Hause ausdrucken können, ist der Vorverkauf komfortabler geworden.“

Auch Sybille Schmidt und ihre Tochter Steffi finden nicht, dass früher alles besser war. Sie sind mit ihrer Ausbeute zufrieden, nehmen die Sache sportlich: „Man muss in der Schlange einfach schnell reagieren. Wenn die Karten für einen Film ausverkauft sind, muss man sich eben innerhalb von Sekunden für einen anderen entscheiden“, sagen sie. So einfach ist das mit dem Kartenkauf.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false