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Berlin: Schöneberger Reparaturservice: Für lahme Enten

Die Rote und Schwarze, die Weiße und Grüne, auch die Graue und Gelbe warten. Die Notaufnahmen parken draußen vor der Tür.

Die Rote und Schwarze, die Weiße und Grüne, auch die Graue und Gelbe warten. Die Notaufnahmen parken draußen vor der Tür. Gleich werden sie auf "Herz und Nieren" getestet. Für die Weiße mit den grünen Streifen kommt jede Hilfe zu spät. Aber für die Graue besteht noch Hoffnung. Also ab auf den OP-Tisch. In der Schöneberger "Entenklinik" wird sie in vier Tagen auf Trab gebracht.

"Ein neuer Rahmen, und schon ist die Charleston-Ente wieder auf den Beinen", sagt Thorsten Stolle. Der selbsternannte Entendoktor weiß, welche Medizin jetzt nötig ist. Ob kaputte Auspuffe, Kotflügel oder Zylinderköpfe - der angehende Kraftfahrzeug-Meister kennt die großen und kleinen Krankheiten seiner Patienten genau. Seit eineinhalb Jahren kümmert er sich in seiner "Entenklinik" - einem Reparaturservice für "2 CVs" - um die Sorgen und Nöte seiner Schützlinge. Zunächst rollten die pflegebedürftigen Zweizylinder in seine Charlottenburger Werkstatt, seit Mai in die Schöneberger Bautzener Straße. Seine Werkstatt ist im Gegensatz zu anderen Arbeitsstätten Wartezimmer und OP-Saal zugleich. Rund 80 Quadratmeter bieten Platz für Umbauten am Vehikel und für die zusehenden Kunden. Bei frischem Kaffee fachsimpeln die Seelenverwandten über ihr Liebes-Objekt oder tauschen neue Anekdoten vom Asphalt aus.

"An den Gedanken, die sterben aus, konnte ich mich nicht gewöhnen", sagt der gelernte Kfz-Mechaniker. Es war im Juli 1990, als nach 53 Jahren und weltweit fünf Millionen produzierten Exemplaren die letzte Ente in Frankreich vom Band lief. Als Grund gab Citröen "Alters,- Leistungs- und Marktschwäche" an. Die Fans trauerten. Der endgültige Exitus liegt trotzdem in weiter Ferne. Zahlreiche Liebhaber halten dem schnatternden Automobil die Treue. Laut Statistik des Kraftfahrt-Bundesamtes in Flensburg bevölkern bundesweit 31 614 gebrauchte "Döschwohs" derzeit die Straßen und Bordsteine. Worin liegt bloß der Reiz dieses Bogenblech-Urgesteins? Darüber wundert sich mancher Fahrer eines spritzig-schnellen neuen Kleinwagens. Echte Liebhaber dagegen geraten ins Schwärmen. "Die himmlische Kopffreiheit ist einmalig", sagt Heinz aus Kreuzberg über sein "Cabrio für Arme". Für die 34-jährige Simone aus Tempelhof ist es "im Sommer die kathedralenhafte Kühle im Innern". Und Erziehungswissenschaftler Frank lobt "den sparsamen Benzinverbrauch".

Freiheit, Beweglichkeit und Echtheit - mit diesen Attributen wurde der 2 CV für junge Leute, Studenten und Lebenskünstler jeden Alters seit den 60er Jahren zum Symbol. "Aber die Kundschaft hat sich gewandelt", stellt Thorsten Stolle fest. Immer häufiger suchen Berliner Ärzte und Rechtsanwälte seinen Rat. "Die nutzen die Ente als nostalgisches Drittauto." Ihn selbst hat das Enten-Fieber vor zehn Jahren gepackt. "Schuld daran war eine Italienreise mit der Ente meiner Freundin." Seitdem kann er nicht vom Gefährt lassen. Er schätzt die urig-unkomplizierte Mechanik, die uneitle und scheinbar von keinem Design getrübte Zweckform. "Es macht einfach Spaß, daran rumzuschrauben."

Weil er nicht wie Enten auf einem Bein stehen kann, stellt der 38-Jährige auch Unfallgutachten aus, bietet An- und Verkauf sowie TÜV und ASU an. Privat schwört er auf eine liebevoll restaurierte Clubente in Rot und träumt von einem schwarzen Pickup in ein paar Jahren. Bis dahin will der Entenfreund seinen Patienten zu einem "möglichst langen Leben" verhelfen.

Sabrina Born

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