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Berlin: Schöner thronen

Friedrich II. hätte sich gern in Berlins Mitte mit einem Riesenschloss verewigt. Schon das klappte nicht Und von seinen zwei Türmen auf dem Gendarmenmarkt stürzte einer bereits bei den Bauarbeiten ein.

Es dürfte kaum Augenzeugen gegeben haben an diesem fatalen 28. Juli, nur rund um den Gendarmenmarkt werden sie wohl aus den Betten gefallen sein. 1781 war Berlin noch alles andere als eine Stadt, die niemals schläft, und nachts um drei ist der Schlaf besonders tief. Doch so könnte es gewesen sein: ein Knirschen, Knistern, Knarren, das sich rasch zum Donnern steigert, Risse im Mauerwerk, die sich blitzartig verbreitern, erste herausplatzende Ziegelsteine, bis die ganze, der Platzmitte zugewandte Seite des Deutschen Doms unter Getöse in einer riesigen Staubwolke in sich zusammensackt. Bis zum Gesimse unterhalb der Säulentrommel waren die Bauarbeiten gediehen, nun musste man von vorn anfangen, den zu schwach ausgelegten Turmschaft komplett abtragen und den des Französischen Doms gleich mit. Auch dort hatte es Risse gegeben.

Wenngleich der vielfach erprobte Baumeister Carl von Gontard keine massive Strafe zu erleiden hatte, so war er doch seinen Posten als Leiter der königlichen Bauten in Berlin und auch der am Gendarmenmarkt los. Eine für Friedrich II. höchst ärgerliche Panne. Als 69-Jähriger konnte er sich ausrechnen, dass ihm die Rolle als glänzender Bauherr nicht mehr lange vergönnt sein würde. Mit den Prunkbauten auf dem Gendarmenmarkt – damals hieß er Friedrichstädtischer Markt – wollte er noch einmal ein städtebauliches Juwel erschaffen, doch nun stand er unerwartet vor dem Trümmerhaufen seiner hochfliegenden Pläne – wie schon als junger König vier Jahrzehnte zuvor. Nur waren sie damals übers Planungsstadium gar nicht erst hinausgekommen.

Aus heutiger Sicht ist das ganz gut so, sonst ständen wir womöglich vor dem Problem, neben dem alten Stadtschloss – mit 116 Metern Breite und 192 Metern Tiefe nicht gerade mickrig – auch noch den pompösen Traumpalast des Alten Fritz wiederaufbauen zu müssen: knapp 300 Meter breit und 150 Meter tief, samt Kolonnaden sogar 190 Meter – ein Steinkoloss, platziert auf eine 500 Meter breite Freifläche, Mittelpunkt des neuen Residenzzentrums. Die Pläne für das Forum Fridericianum, wie es heute heißt, dürften schon bei der Thronbesteigung am 31. Mai 1740 in der Schublade gelegen haben, von Friedrich ersonnen und seinem damals wichtigsten Baumeister Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff ausgearbeitet, dessen Skizzen der an Architektur hoch interessierte Bauherr eigenhändig korrigierte. Das Schloss sollte etwa an der Stelle des Prinz-Heinrich-Palais (heute: Humboldt-Uni) entstehen: ein Baukörper mit zwei Innenhöfen und zentralem Ehrenhof, zum geplanten Platz hin von Kolonnaden abgeschlossen. Gegenüber waren, symmetrisch ausgerichtet, ein Haus für Ballspiele und ein Opernhaus geplant; nur Letzteres wurde verwirklicht.

Die Anlage des Platzes hätte den Abriss von 54 Häusern bedeutet, wie die „Berlinische Privilegirte Zeitung“ am 30. Juni 1740 meldete. Doch schon Anfang September hieß es, der Baugrund habe sich bei ersten Arbeiten als zu morastig erwiesen – ein wohl vorgeschobener Grund für den Baustopp. „Offenbar weigerten sich die Markgrafen von Brandenburg-Schwedt, eine seit 1689 existierende Seitenlinie der Hohenzollern, ihr mitten auf dem geplanten Residenzplatz gelegenes Palais zu veräußern“, schreibt der Kunsthistoriker Martin Engel.

In veränderter und kleinerer Version wurde dann doch gebaut – ein Großprojekt für mehrere Jahrzehnte: erst die Oper, dann die Hedwigskirche, als vertrauensbildende Geste gegenüber den neuen schlesischen Landeskindern nach deren Schutzpatronin benannt, dann das Prinz-Heinrich-Palais und zuletzt die Bibliothek, die beim Volk wegen ihrer geschwungenen Form bald „Kommode“ hieß. Ohnehin hat sich Friedrich durch sein frühes Scheitern als Bauherr nicht entmutigen lassen, Berlin trotz seiner Vorliebe für Potsdam mit repräsentativen Bauten zur modernen europäischen Residenz umzugestalten: durch prachtvolle Brücken wie die Königsbrücke (Kolonnaden 1910 zum Kleistpark umgesetzt), die Spittelbrücke (Kopie einer Kolonnade am Spittelmarkt) und die Opernbrücke (im 19. Jahrhundert abgetragen), durch das (ebenfalls abgetragene) Stadttor am heutigen Rosenthaler Platz oder das Invalidenhaus vor den Stadttoren. Schließlich auf dem Gendarmenmarkt durch das Französische Komödienhaus, Vorvorgänger des Schauspielhauses, und vor allem die Türme neben der Französischen und der Deutschen Kirche, die trotz ihrer reinen Schmuckfunktion Dome genannt werden.

Sie waren nach dem Desaster vom 28. Juli 1781 zügig weitergebaut worden, äußerlich kaum verändert, im Innern aber stabiler ausgelegt. Bei den Berlinern war der Einsturz noch lange Gesprächsthema, in Erinnerung gehalten durch Stadtführer wie Friedrich Nicolais „Beschreibung der königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam“ (1786) oder Memoiren wie Johann Gottfried Schadows „Kunstwerke und Kunstansichten“ (1849). Schadow hatte als 17-jähriger Kunstschüler den eingestürzten Turm selbst gezeichnet. Die Berliner „fanden diese Ruine sehenswert“, schrieb er. „Künstler und Dilettanten zeichneten danach; Kunsthändler und Kupferstecher benutzten es eiligst.“ Auch sein Lehrmeister, der Bildhauer Jean Pierre Antoine Tassaert, machte mit und schickte den jungen Johann „ins Französische Komödienhaus, wo ein Fenster für ihn ausbedungen war, von wo er die Ruine aufnahm“. Für ihn ein Glücksfall, der erste Karriereschritt: „Es fanden sich bald Leute, welche behaupteten, diese Zeichnung sei die am besten geratene.“

Für Gontard aber bedeutete der Einsturz einen Knick in der Laufbahn. Nach Schadows Erinnerungen hatte er es nicht gewagt, dem König selbst zu berichten, sondern seinen Bauinspektor Friedrich Becherer vorgeschickt: „Um 9 Uhr im Lustgarten vor dem Schlosse in Potsdam hörte der König die Botschaft ruhig an, fragte, ob Menschen dabei zu Schaden gekommen. Bei der Antwort: nein! wendete der König den Rücken und sagte: bon.“

 Andreas Conrad

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