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Aneeta Patel sah die Armut in den Slums - und gründete deshalb eine Schule.

© privat

Schule in Indien: Dank Aneeta Patel können Kinder aus dem Slum studieren

In Indien haben drei Frauen eine Schule für arme Kinder aufgebaut. Annemarie Isbert und ihre Freundin Johanna Lange machen einen Freiwilligendienst in Nagpur und haben sich mit der Schulleiterin Aneeta Patel getroffen.

Stell dir vor, du wirst in einem Slum geboren. Deine Eltern arbeiten den ganzen Tag, sind kaum für dich da, abends betrinken sie sich, um ihrem Alltag zu entfliehen.

Es stinkt. Zwischen Wellblechhütten und Plastikmüll machst du deine ersten Schritte und denkst, dass du diesem Leben nicht entfliehen kannst. So ging es auch Rohit. Er ist in einem Dorf in der nordindischen Provinz Uttar Pradesh aufgewachsen, seine Eltern konnten ihm kein Schulgeld bezahlen. Eine Perspektive hatte er nicht, doch dann hört er von Nav-Jevaan, einem Ort, an dem Kinder sorglos leben können. Wo sie ein richtiges Bett haben, Essen bekommen und spielen können. Als er sich entschließt, wegzugehen, weiß er, dass es für immer sein wird. Einen Tag lief er durch den Dschungel.

Die Dr. T.S. Wilkinson Memorial School, Nav-Jeevan in der indischen Metropole Nagpur ist ein Zufluchtsort für 200 indische Kinder. Die Hälfte von ihnen kann im schuleigenen Internat wohnen. Drei Frauen haben die Schule gegründet: Aneeta Patel, ihre Mutter und die Niederländerin Annelies van de Ven.

Aneeta Patel sitzt im Salon ihrer Wohnung und lädt zu einer Tasse Chai ein. In ihren dunklen Augen glimmt der Ehrgeiz, den man braucht, um etwas zu bewegen. Eigentlich ist sie Journalistin, doch sie tauschte ihr gesichertes Einkommen und ihren gesellschaftlichen Status gegen die Möglichkeit, Kindern ein neues Leben zu schenken.

Warum? „Ihr versteht doch gar nicht, was Armut wirklich bedeutet“, kommt sofort die Antwort. „Wirkliche Armut bedeutet: Du hast dir den Arm gebrochen und kannst dir keine Schmerzmittel leisten. Wirkliche Armut bedeutet, dass dein Bruder an Durchfall stirbt, weil du die Medikamente nicht bezahlen kannst. Dass du deiner Schwester aus Hunger die Läuse vom Kopf isst. Ich habe das aus nächster Nähe gesehen. Das war der Grund für meine Entscheidung“, sagt sie.

Die harte Realität sah sie, als sie nach den Eltern zweier Mädchen recherchierte, die Annelies van de Ven in den 90er Jahren adoptierte. Jedes Jahr fuhr sie mit ihnen nach Indien, um ihren Adoptivtöchtern deren Heimat zu zeigen. Mithilfe von Aneeta Patels Nachrichtensender gelang es, die Familie ausfindig zu machen. Sie lebte mit fünf Söhnen in einer Baracke im Slum. Keine Toiletten, keine Schule. Annelies van de Ven, Aneeta Patel und deren Mutter, Iris Wilkinson, waren sich einig: So kann es nicht weitergehen. Sie würden eine Schule für arme Kinder gründen.

Gründen, das sagt sich leicht. Elf Jahre vergingen, bis die Schule staatlich registriert werden konnte. „Korruption und Bürokratie erschweren jeden noch so kleinen Schritt“, erzählt Aneeta Patel. Kauft man in Indien ein Stück Land, kann man sich nie sicher sein, dass es wirklich dem vermeintlichen Eigentümer gehört. Der Kauf wird in der Zeitung angekündigt, um die Möglichkeit zur Intervention zu geben.

Rohit kam vor zwei Jahren, zu Fuß. Jetzt ist Mathe sein Lieblingsfach

Immer wieder gab es auch Ärger mit den Behörden. Sie drohten mit Gefängnisstrafen, weil die Frauen angeblich eine kommerzielle Institution leiteten. Mit Spendengeldern konnten sie schließlich ein Grundstück in Godhni kaufen, dem Stadtrand von Nagpur. 2003 gründeten sie die Dr. T.S. Wilkinson Memorial School, Nav-Jeevan.

Der 14-jährige Rohit kam vor zwei Jahren. Alleine, zu Fuß. Am Anfang waren die Umgebung und die Regeln im Hostel sehr neu für ihn. Ein geregelter Tagesablauf, immer genug zu essen. „Doch mit der Zeit hat er sich mit der Hilfe der anderen Kindern eingelebt“, erzählt Annemarie Isbert. Er strengt er sich in der Schule an, Mathe und Naturwissenschaften sind seine Lieblingsfächer. Irgendwann will er ein neues Auto erfinden, am liebsten solarbetrieben.

Sie haben früher im Slum gelebt. Jetzt haben diese Kinder ein Zuhause.

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Im August gab es einen Freundschaftstag. Die Kinder schenkten sich gegenseitig Armbänder. Rohit bekam eins von Anup, einem Jungen, der erst vor kurzem angekommen ist. Sie schüttelten sich die Hände als Zeichen ihrer Freundschaft. Von 17 bis 19 Uhr haben die Kinder noch mal Unterricht, dann dürfen sie eine halbe Stunde fernsehen. Um 10 Uhr müssen alle schlafen, wie in einer Familie. „ Es ist, als hätten sie sich mit der Möglichkeit einer Schulausbildung entschlossen, glücklich zu sein“, sagt Isbert.

Viele Eltern schicken ihre Kinder nicht zur Schule. Denn wer lernt, kann nicht betteln

Die meisten Kinder in Nav-Jeevan wollen Ärzte oder Ingenieure werden. Beide Berufe versprechen einen hohen sozialen Status und ein sicheres Einkommen. Anne und ihre Freundin sind überrascht, mit welchem eisernen Willen die Kinder hier lernen. Mit dem gleichen Eifer spielen sie auf dem Pausenhof.

Dennoch weigern sich viele Eltern, ihre Kinder in die Schule zu schicken, erzählt Aneeta Patel. Denn wer in die Schule geht, dem fehlt die Zeit zum Betteln. Deshalb erhalten neue Schüler heute auch Verpflegung und medizinische Versorgung. Sie leitet die Schule, ist beinahe rund um die Uhr auf dem Schulgelände, kümmert sich um die Kinder, organisiert.  Die Kinder von Nav Jevaan haben tatsächlich die Chance, etwas aus ihrem Leben zu machen.

Die Dr. T.S. Wilkinson Memorial School, Nav-Jeevan braucht einen neuen Schulbus. Spenden unter www.betterplace.org.

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Simon Grothe, Annemarie Isbert

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