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Schule: Wer fünfmal fehlt, wird angezeigt

Die Berliner Schüler brachten es auf fast 140.000 Fehltage im ersten Schulhalbjahr 2007/08. Die SPD plant nun ein Landesprogramm gegen Schul-Schwänzer. Das Konzept geht weit - es sieht sogar den Entzug des Sorgerechts vor.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die SPD wird voraussichtlich ein Landesprogramm gegen Schulschwänzer auflegen. Angesichts von 139 074 Tagen, an denen Berliner Schüler im ersten Halbjahr 2007/08 unentschuldigt fehlten, wollen die Sozialdemokraten das Problem bei der Wurzel packen. Die Schulverweigerung sei ein „Massenphänomen“ und allein durch Kontrolle und Repression nicht in den Griff zu bekommen, steht in einem Papier des Neuköllner Kreisverbands, das der SPD-Landesparteitag am Sonnabend beschließen soll. Allerdings mit Korrekturen.

Die Säulen des Programms sind eine „Qualitätsoffensive“ für die Schulen, vorbeugende Maßnahmen und rechtliche Konsequenzen, wenn alles nicht hilft. Die wichtigsten Forderungen sind:

– schnellstmögliche Einführung der Gemeinschaftsschule, wobei als erster Schritt die Hauptschule abzuschaffen sei,

– Ausbau aller Schulen zu Ganztagsschulen, beginnend in sozial besonders belasteten Stadtregionen,

– mehr Lehrer mit Migrationshintergrund in den von Einwanderung geprägten Kiezen,

– niedrigere Klassenfrequenzen,

– Schulstationen an allen Grundschulen,

– gezielte Betreuung notorischer Schulschwänzer und deren Familien durch spezialisierte Pädagogen und Sozialarbeiter,

– Einrichtung eines Internats für besonders schwierige Schüler,

– Auseinandersetzung mit „Sekundärtugenden“ wie Pünktlichkeit, Ordnung, Fleiß, Pflichtbewusstsein und Gewissenhaftigkeit im Unterricht,

– ein Betreuungskonzept mit Hilfe der Wirtschaft, um die Ausbildungsfähigkeit von Hauptschülern zu verbessern.

Sich der Schulpflicht zu entziehen, sei ein „besonders deutliches Warnzeichen für drohende Desintegration“. Auf diese Feststellung legen die Neuköllner Genossen wert. Alle jungen Serientäter Berlins hätten ihre kriminelle Karriere als Schulverweigerer begonnen. Zwar ermögliche das neue Schulgesetz, Schulschwänzer von der Polizei zuführen zu lassen, und viele Schulen arbeiteten bereits mit der Jugendhilfe und freien Trägern zusammen, um Problemschüler anzusprechen oder zu Hause aufzusuchen. Trotzdem sei in Berlin „das Grundproblem nicht gelöst“. Vor allem nicht an den Grund- und Hauptschulen. Zwischen regelmäßigem Zuspätkommen und dauerhaftem Fernbleiben seien alle Zwischenstufen verbreitet.

Deshalb wird im Parteitagsantrag gefordert, dass der Staat bei der Durchsetzung der Schulpflicht konsequent sein müsse. Das fängt bei Kontrollen auf den Flughäfen vor und nach den Ferien an. Spätestens nach fünf unentschuldigten Fehltagen im Halbjahr sollen die Schulen eine Schulversäumnisanzeige erstatten. Über jede Anzeige müsse das Jugendamt unterrichtet und nach zwei Anzeigen „gegebenenfalls das Familiengericht wegen Kindeswohlgefährdung“ angerufen werden. Im schlimmsten Fall soll der Entzug des Sorgerechts möglich sein. Bei jungen Straftätern soll geprüft werden, ob sie als Schulverweigerer auffällig wurden.

Der Neuköllner SPD-Kreischef Fritz Felgentreu betont, dass der „repressive Teil“ des Antrags nur im Zusammenhang mit Prävention und besseren Schulen gesehen werden dürfe. Weitere Forderungen, etwa nach Kürzung des Kindergelds oder dem Führerscheinentzug, wenn Eltern ihre Fürsorgepflicht vernachlässigen, sollten diskutiert, aber nicht in das Landesprogramm aufgenommen werden. Korrigiert wird der Antrag wohl noch in jenen Teilen, die nach Meinung von SPD-Linken zu sehr auf Migrantenprobleme und Neuköllner Verhältnisse zugeschnitten sind. Dann könnte die Parteitagsmehrheit gesichert sein.

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