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Schülerinnen und Schüler im Unterricht (Symbolbild).

© Marijan Murat/dpa

Berliner Schulen: Weniger Zeit für Geschichte

Seit Politik ein eigenes Fach ist, müssen Schulen in anderen Bereichen kürzen. Der Vorsitzende des Geschichtslehrerverbands sieht sein Fach bedroht.

Der Berliner Geschichtslehrerverband schlägt Alarm: Das Fach Geschichte an den weiterführenden Schulen sei bedroht, sagt Peter Stolz, Vorsitzender des Verbands. Er spricht von einer „Marginalisierung“ des Faches. Der Grund dafür sei die Kontingentlösung für die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer, die seit diesem Schuljahr umgesetzt wird.

Gemeinsames Stundenbudget für mehrere Fächer

Diese Kontingentlösung war eingeführt worden, um im Stundenplan Zeit für Politische Bildung zu schaffen, die seit diesem Schuljahr ein eigenständiges Fach in den Klassen sieben bis zehn ist. Die Kontingentlösung sieht ein gemeinsames Stundenbudget für die Fächer Geschichte, Politik, Geografie und Ethik vor. Sie war vor zwei Jahren nach langen Diskussionen als Kompromiss von der Senatsbildungsverwaltung präsentiert worden, nachdem die Entscheidung für die Einführung von Politik als Unterrichtsfach gefallen war. Der Landesschülerausschuss hatte dies seit vielen Jahren gefordert.

Was die Kontigentlösung vorsieht

  • Die Fächer Politik, Geschichte, Geografie und Ethik haben ein gemeinsames Stundenbudget. Über die Verteilung der Stunden können die Schulen zu einem gewissen Grad selbst entscheiden. Jedes Fach muss jedes Jahr unterrichtet und auf dem Zeugnis ausgewiesen werden.
  • An Gymnasien gibt es für die vier Fächer in den Doppeljahrgangsstufen 7/8 und 9/10 jeweils zehn Stunden. Davon müssen mindestens zwei, maximal drei auf Geschichte, zwei auf Politik; zwei, maximal drei auf Geografie und mindestens drei, maximal vier auf Ethik entfallen.
  • An Integrierten Sekundarschulen sind es acht Stunden pro Doppeljahrgang: mindestens eine, maximal zwei Stunden Geschichte; zwei Stunden Politik; eine, maximal zwei Stunden Geografie, mindestens drei, maximal vier Stunden Ethik.
  • Davor war Geschichte an Gymnasien zweistündig pro Jahr, an Sekundarschulen einstündig. Ein Drittel der Zeit des Geschichtsunterrichts sollte für Politik reserviert sein. Ethik war zweistündig.

Das Unterfangen, Politik in den Stundenplan zu integrieren, war von Anfang an schwierig. Denn einerseits sollte etwas dazukommen (mehr Politikunterricht), andererseits sollte die Stundenzahl insgesamt nicht steigen, und noch dazu sollten die anderen gesellschaftswissenschaftlichen Fächer möglichst wenig Unterrichtszeit einbüßen müssen.

Wie sie das Stundenbudget auf die vier Fächer aufteilen, können die Schulen zu einem gewissen Grad selbst entscheiden. Sie können beispielsweise in einem Halbjahr einen Schwerpunkt auf Geschichte legen, in einem anderen einen Schwerpunkt auf Politik oder Geografie. Kürzungspotenzial zugunsten von Politik besteht vor allem bei Ethik und Geschichte, da diese beiden Fächer bisher die meisten Stunden hatten.

Schulinterne Curricula mussten erneut überarbeitet werden

Um herauszufinden, wie die Geschichtslehrer die Situation erleben, hat sich der Geschichtslehrerverband bei seinen Mitgliedern umgehört. Die Ergebnisse der Umfrage sind deutlich: 87 Prozent der Mitglieder sehen das Fach Geschichte von der Kontingentlösung bedroht, 61 Prozent gaben an, die Umsetzung als „sehr konfliktreichen Prozess“ erlebt zu haben. Denn die schulinternen Curricula, die aufgrund des neuen Rahmenlehrplans zum Schuljahr 2017/18 erstellt wurden, mussten „nach nur einem Jahr völlig neu überarbeitet werden“.

„Wir versuchen zwar, in etwa den Rahmenlehrplan umzusetzen, aber das ist inhaltlich an vielen Stellen nur ganz dünn zu schaffen“, sagt der Verbandsvorsitzende Peter Stolz, der am Heinrich-Hertz-Gymnasium in Friedrichshain unterrichtet und dort den Fachbereich Gesellschaftswissenschaften leitet. „In meiner neunten Klasse zum Beispiel stehen für das Thema Erster Weltkrieg gerade mal drei Stunden, also drei mal 45 Minuten zur Verfügung.“ Eigentlich müssten die Geschichtslehrer laut Rahmenplan auch verschiedene Methoden – wie beispielsweise Längs- und Querschnittsbetrachtungen und chronologische Abrisse – vermitteln. Das sei aber oft nicht zu schaffen.

An vielen Sekundarschulen sei Geschichte mittlerweile kein eigenständiges Fach mehr, berichtet Stolz. Viele Schulen hätten stattdessen das Fach Gesellschaftswissenschaften eingeführt. Seine Schule, das Heinrich-Hertz-Gymnasium, habe die Kontingentlösung so umgesetzt, dass in den vier Jahrgangsstufen zwei Stunden bei Ethik gekürzt wurden, Geschichte wird in drei Halbjahren zweistündig, ansonsten einstündig unterrichtet. Gerade im Zusammenhang mit gegenwärtigen Problemen wie Antisemitismus und Extremismus seien die Kürzungen bei Geschichte mehr als bedauerlich.

Kürzungen auch bei Ethik

Von Kürzungen in Ethik weiß Margret Iversen zu berichten. Die Vorsitzende des Berliner Fachverbands Ethik hat sich ebenfalls umgehört und aus etwa 40 Schulen eine Rückmeldung erhalten. Danach wurde an den Gymnasien mehrheitlich bei Ethik gekürzt, in der Regel um zwei Stunden, sodass in den Klassen sieben bis zehn nur noch sechs statt acht Wochenstunden unterrichtet werden. „Ein einstündiges Fach kann man fast vergessen“, sagt Iversen, die an der Sophie-Scholl-Schule in Schöneberg unterrichtet. „Man kriegt die Schüler nur, wenn man sie länger hat.“ Leider habe Ethik noch immer eine schlechte Lobby und gelte als „weiches Fach“. Dabei werde dort die kritische Reflexionskompetenz der Schüler gefördert.

Etwas optimistischer sieht Sabine Achour, Professorin für Politikdidaktik und Vorsitzende des Berliner Landesverbands der Vereinigung für politische Bildung, die Entwicklung der Kontingentlösung an den Schulen. „Es gibt Schulen, die das gut hingekriegt haben, andere hatten zu knapsen.“ Besonders für Gymnasien sei es auch eine Chance für eine Profilierung und Schwerpunktsetzung, und auch eine gute Gelegenheit, die Schulcurricula noch mal dahingehend anzuschauen, ob es Doppelungen gibt und wie man fächerübergreifend arbeiten könne.

Mehr fachfremder Unterricht

Wenn zunehmend fächerübergreifend unterrichtet wird, kann das allerdings auch dazu führen, dass mehr fachfremd unterrichtet wird. Manche Schulen unterrichten die vier Fächer epochal, also innerhalb eines Schuljahres nacheinander und blockweise. Wenn eine Lehrkraft dabei alle vier Fächer übernimmt, führt das zwangsläufig dazu, dass häufiger fachfremd unterrichtet wird. Denn kaum jemand hat alle vier gesellschaftswissenschaftlichen Fächer auch studiert. Diese Tendenz sehen sowohl Iversen als auch Stolz und Achour kritisch.

Was also tun? An der Berechtigung von Politik als eigenständigem Schulfach zweifelt keiner der drei. Peter Stolz vom Geschichtslehrerverband will aber, dass sich etwas ändert, und fordert die Verantwortlichen in der Senatsbildungsverwaltung zu Gesprächen auf. „Die schwierigste Forderung ist, dass es mehr Stunden geben muss. Das ist zwar unpopulär, aber ich muss es fordern. Denn mir geht es darum, dass das Fach Geschichte wieder gestärkt wird.“

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