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BERUFSSCHULEN: "Wir arbeiten einfach zu gut"

30 Jahre Oberstufenzentren: Verbandschef Rulff über die Vorteile und Zukunft der Berufsschulen.

Herr Rulff, heute ist es genau 30 Jahre her, dass die Oberstufenzentren gegründet wurden. Was gibt es zu feiern?

Eine Erfolgsgeschichte mit nahezu einer Million Absolventen. Und dazu eine rasante Entwicklung: Von kleinen Schulen, in denen die Berufsschüler einmal wöchentlich dualen Unterricht hatten, bis hin zu großen OSZ als Kompetenzzentren des jeweiligen Berufsfelds. Lehrkräfte werden Bildungsbegleiter und -berater, Schulleiter werden Schulmanager.

Wie schaffen Sie es, die Werkstätten und Lehrer technisch und inhaltlich immer auf den neuesten Stand zu bringen?

Die Anforderungen an unsere Mitarbeiter und die technische Ausstattung der Werkstätten ändern sich in derselben Geschwindigkeit, wie die Technik voran- schreitet. Unsere Lehrkräfte bleiben durch Fortbildungen fit. Wenig Einfluss haben wir hingegen auf die Investitionsmittel: Da ist Berlin im kommenden Haushalt dringend gefordert.

Kommendes Jahr sollen die Haupt- und Realschulen zu Sekundarschulen werden und eigene Oberstufen einrichten. Bedeutet das Konkurrenz für die OSZ?

Nein. Unser Schwerpunkt ist die duale Berufsausbildung. Dass alle Sekundarschulen 2010 Oberstufen aufmachen, wird ihnen von der Schülerzahl her nicht möglich sein. Es ist auch nicht notwendig, da das Angebot durch uns schon besteht. Wir bieten den Sekundarschulen enge Kooperationen an, die wir gerade auf den Weg bringen.

Inwiefern?

Wir führen gemeinsame Konferenzen durch, wir laden die Schulleitungen, Kollegien und Eltern ein, unsere Bildungszentren und Bildungsangebote kennenzulernen. Die Verzahnung muss von beiden Seiten gut geplant werden. Die Eltern müssen schon ab Klasse sieben wissen, was aus ihren Kindern nach sechs oder sieben weiteren Schuljahren werden kann.

Wie wird Ihr Angebot konkret aussehen?

Die Oberstufenzentren stellen für alle bildungswilligen Absolventen der Sekundarschulen ein persönliches Bildungsangebot bereit. Sie können alle anerkannten schulischen Abschlüsse und/oder eine berufliche Ausbildung machen.

Wird sich am Angebot etwas ändern?

Bislang konnte man in unseren beruflichen Gymnasien mit einem allgemeinbildenden und einem beruflichen Leistungsfach die Allgemeine Hochschulreife erwerben. Wir haben die Zusage der Senatsverwaltung, dass wir diesen Abschluss an unseren bisherigen gymnasialen Oberstufen auch mit zwei Leistungsfächern aus dem allgemeinbildenden Bereich anbieten können, um die Interessen der Schüler in diesem Bereich abzudecken.

Können Sie diese Schülerströme denn bewältigen?

Die Schülerströme werden sich im Vergleich zu heute nicht wesentlich ändern. Bisher haben 40 Prozent eines Jahrgangs Abitur gemacht, die übrigen 60 Prozent besuchten immer schon die OSZ. Wir sind allerdings bereit, durch besondere Förderung den Anteil der studierfähigen Schüler zu erhöhen. Das wird nur mit den OSZ möglich sein.

Wie kann das gehen?

Die Gymnasien haben bestimmte Kapazitäten und Eingangsvoraussetzungen. Die Regularien für die Aufnahme sind noch umstritten. Spätentwickler werden sie nicht aufnehmen – wir schon. Wir haben andere Strukturen und Fördermöglichkeiten als Gymnasien und ein Jahr mehr Bildungszeit, wir haben ständig den intensiven Austausch mit der betrieblichen Wirklichkeit. Das wirkt motivierend.

Aber sind Oberstufenzentren nicht auch eine Art Auffangbecken für Schüler ohne Ausbildungsplatz geworden?

Wer noch nicht den passenden Ausbildungsplatz gefunden hat, der kann in unseren Bildungsgängen einen höheren Abschluss erwerben und sich im gewünschten Berufsfeld orientieren. Im Bereich der dreijährigen Berufsfachschule bieten wir verstärkt Berufsausbildung an den OSZ an. Die Ausbildungsqualität ist hier ähnlich hoch oder sogar höher als in vielen dualen Ausbildungsgängen.

Wie erklären Sie es sich, dass die OSZ in der Öffentlichkeit eher wenig wahrgenommen werden?

Der überwiegende Teil der gesellschaftlichen Entscheider hat keine Berufsschule besucht – da ging es von der Grundschule aufs Gymnasium auf die Uni in den Beruf. Dennoch stelle ich eine deutliche Steigerung der öffentlichen Wertschätzung fest. Ein zweiter Grund liegt darin, dass wir als zentralverwaltete Schulen durch Beamte in der Schulverwaltung vertreten werden. In den Bezirken hingegen sind die politischen Vertreter für die Bildung verantwortlich – die wollen wiedergewählt werden und brauchen Öffentlichkeit. Und schließlich kann ich sagen: Wir arbeiten einfach zu gut. Schlechte Nachrichten verkaufen sich besser, aber da haben wir nichts anzubieten.

Wie sehen die nächsten 30 Jahre für die Oberstufenzentren aus?

Durch den EU-Vereinigungsprozess sind unsere Aussichten sehr gut. Die Abschlüsse werden international vergleichbar, unsere jungen Menschen öffnen sich und gehen nach Europa. An meiner Schule absolvieren pro Jahr mehr als 150 Schüler Praktika und Lehrgänge in europäischen Betrieben, und diese Zahl wird steigen. So haben sie gute Arbeitsplatzchancen in ganz Europa.

Das Gespräch führte Patricia Hecht

DER VERBANDSCHEF

Der 59-jährige Peter-Michael Rulff ist Mitbegründer der Schulleitervereinigung Berufliche Bildung in Berlin e.V. (BBB), dem alle Berufsschulleiter angehören. Der BBB ist deutschlandweit der einzige derartige gewerkschaftsübergreifende Verband. Rulff betrieb 2003 die Gründung, 2008 übernahm er den Vorsitz.

DIE SCHULEN

In Berlin gibt es 35 Oberstufenzentren und sonstige Berufsschulen. Die Schwerpunkte reichen vom Handwerk über Sozialwesen bis zu Ernährung und Gesundheit. Hinzu kommen Kurse für Abend- und für Sonderschüler. Die Oberstufenzentren sind in freier Trägerschaft – ebenso wie etwa 80 berufliche Bildungsgänge, in denen rund 9000 der 96 000 Berliner Berufsschüler unterrichtet werden. Die Zahl der Träger wächst von Jahr zu Jahr.

DAS JUBILÄUM

Am Freitagabend stand eine Konzertgala im OSZ Lotis auf dem Programm. Der zentrale Festakt am Sonnabend im OSZ Versorgungs- und Reinigungstechnik ist geladenen Gästen vorbehalten. pth/sve

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