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Integrative Beschulung: Gemeinsam mit Behinderten lernen

Die Senatsverwaltung arbeitet an einem Konzept zur integrativen Beschulung – und spart zugleich bei der Betreuung.

Nächstes Schuljahr wird es ernst für Maria: Die 18-Jährige muss Punkte sammeln fürs Abitur, das sie 2012 an der Fichtenberg-Oberschule in Steglitz ablegen will. Einer Schule, an der blinde und sehbehinderte Schüler seit mehr als 30 Jahren gemeinsam mit gesunden Schülern ihr Abitur machen können.

Maria sieht nur 20 Prozent von dem, was ihre gesunden Klassenkameraden erkennen: „Mir wird hier trotzdem geholfen, das zu lernen, was andere auch lernen.“ Zum Beispiel durch Vergrößerungsgeräte und Einzelunterricht. „Aber ich fühle mich hier auch besser akzeptiert“, sagt die 18-Jährige, die auch ein Jahr auf einer Förderschule verbracht hat. „Dort wollte ich nicht bleiben, weil ich nichts gelernt habe“, erinnert sie sich.

Die 2009 von Deutschland ratifizierte UN-Behindertenkonvention verlangt, dass es Menschen wie Maria in Zukunft leichter gemacht wird, gemeinsam mit gesunden Schülern eine Schule zu besuchen. Denn die Konvention legt fest, dass Bildung „inklusiv“, also einschließend, sein soll.

Unter dem Stichwort Inklusion versteht man, dass die individuellen Bedürfnisse und Stärken aller Schüler mit in den Unterricht eingebunden werden. In der deutschen Fassung wird dafür der englische Ausdruck „inclusion“ mit „Integration“ übersetzt. In der Praxis werden häufig beide Begriffe synonym verwendet.

„Der Senat sollte bis Ende April ein Papier zur Inklusion an Berlins Schulen vorlegen“, sagt Ulf Preuss-Lausitz, Professor für Erziehungswissenschaft an der TU Berlin. Bislang sei das aber noch nicht geschehen.

Die Senatsverwaltung für Bildung arbeitet derzeit noch an ihrem Konzept zur Umsetzung der UN-Konvention im Schulbereich. Das Konzept wird zur Folge haben, dass die Zahl der behinderten Schüler, die mit gesunden Kindern lernen, weiter steigt. Bislang liegt sie bei 42 Prozent – auf einem deutschlandweiten Spitzenplatz. „Eine solche Umstellung muss von den Beteiligten getragen werden“, sagt Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD). Zurück gehen dürfte durch das Konzept hingegen die Schülerzahl in den Förderzentren. Die Förderzentren werde es jedoch weiterhin geben – auch, damit die Eltern von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen könnten. Für welche Förderbedarfe dies erforderlich sei, müsse man prüfen und diskutieren.

Um die Integration voranzubringen, gibt es bereits seit diesem Schuljahr regionale inklusive Beschulungskonzepte in Marzahn-Hellersdorf und Tempelhof-Schöneberg. Nächstes Schuljahr soll ein Schulversuch in Steglitz-Zehlendorf hinzukommen. Und auch weitere Bezirke haben ähnliche Pläne. Diese Modelle sollen anderen Schulen Mut machen, ebenfalls Kinder mit Behinderungen aufzunehmen. „Notwendig sind dafür aber auch verstärkte Fortbildungen“, sagt der Bildungssenator.

Ein wichtiges Ziel sei für ihn die „bezirkliche Angleichung der Integrationsquoten auf einem mittleren Niveau“. Denn bislang schwanken die Werte sehr stark: In Tempelhof-Schöneberg zum Beispiel haben 4,2 Prozent der Kinder einen sonderpädagogischen Förderbedarf, 62 Prozent davon werden integrativ beschult. Umgekehrt ist es in Marzahn-Hellersdorf: Dort haben 13,2 Prozent der Kinder einen sonderpädagogischen Förderbedarf, aber nur 26 Prozent der Kinder werde integrativ beschult.

Vor einigen Wochen hat die CDU-Fraktion ein Grundlagenpapier zu Behindertenintegration vorgelegt. „Eine kostenneutrale Umsetzung ist nicht denkbar“, erklärt Arbeitskreisleiter Sascha Steuer. Daher müsse der Senat umgehend den Finanzierungsbedarf ermitteln. Die Abgeordneten fordern unter anderem, sonderpädagogische Kompetenzzentren aufzubauen. Bis zum übernächsten Schuljahr sollen in allen Bezirken Förderschulen zu Förderzentren umgebaut werden – so soll ein Netzwerk entstehen. Zudem fordern die Abgeordneten, den Förderbedarf eines Kindes weiterhin vor dem Schuleintritt festzustellen und auf dieser Grundlage den Personalbedarf zu berechnen. „Bislang sind im Integrationsbereich die Stellen gedeckelt“, kritisiert auch Erziehungswissenschaftler Preuss-Lausitz. Da es aber immer mehr Integrationsfälle gäbe, könne man die daraus resultierende Förderung pro Kind so nicht akzeptieren.

Vor diesem Problem steht nun auch Rainer Leppin, Leiter der Fichtenberg-Oberschule, auf die Maria geht. Zum kommenden Schuljahr sollen hier 1,5 Lehrerstellen gestrichen werden – die Zahl der Integrationsschüler jedoch steigt hier von Jahr zu Jahr. „Für uns bedeuten die Kürzungen rigorose Einschränkungen“, sagt Schulleiter Leppin. Die Integrationsschüler müssten voraussichtlich auf 50 Prozent ihrer Einzelstunden verzichten. Zudem müssten die Integrationsklassen von 26 auf 32 Schüler vergrößert werden. Eine Delegation aus Lehrern und Schülern gab deshalb am gestrigen Montag Protestschreiben und Unterschriften im Büro des Bildungssenators ab – und forderte, die Streichungen zurückzunehmen, um der Aufgabe der Integration behinderter Schüler weiterhin gerecht werden zu können. Auch die Steglitz-Zehlendorfer Alfred-Wegener-Realschule, an der ebenfalls Integrationskinder unterrichtet werden, klagt über massive Stundenkürzungen. Hier sollen im kommenden Schuljahr nur noch 12,5 von bislang 69 Integrationsstunden finanziert werden.

Mit Sorge schauen im Moment insbesondere jene Eltern auf das kommende Schuljahr, deren Kinder bislang von einem der rund 500 Berliner Schulhelfer betreut wurden. Nach Angaben des Elternzentrums Berlin sind viele Anträge für nächstes Schuljahr bereits abgelehnt worden – denn das Land Berlin hat die Ausgaben für die Schulhelfer gedeckelt: bei acht Millionen Euro.

Verärgert sind die Eltern auch darüber, dass die Senatsschulverwaltung erst am heutigen Dienstag zum abschließenden Treffen des „Runden Tisches Schulhelfer“ eingeladen hat. „Dieser Termin kommt viel zu spät“, sagt Torsten Hansen vom Elternzentrum Berlin. Es sei zu befürchten, dass betroffene Eltern bereits das dritte Jahr in Folge „extrem besorgt“ über die adäquate Beschulung und Begleitung ihres Kindes in die Ferien gehen.

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