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Die Verfasserinnen. Jamila, Alma und Lara-Luna (v.l.).

© Björn Kietzmann

Interview mit Berliner Schülerinnen: „Das Tollste an unserer Schule ist die Herausforderung“

Drei Berliner Mädchen haben ein Buch über ihre Schule geschrieben. Ihre Fächer heißen Verantwortung und Herausforderung. Und die wünschen sie auch anderen Schulen. Ein Gespräch.

Jamila, Lara-Luna und Alma, ihr habt ein Buch darüber geschrieben, wie ihr euch Schule wünscht, was euch an euer eigenen Schule, der Evangelischen Schule Berlin Zentrum, gefällt, und was man an Schulen generell besser machen könnte. Was ist denn eure wichtigste Erkenntnis?

ALMA: Am wichtigsten finden wir, dass uns Kindern zugehört wird, dass wir ernst genommen werden, und wirklich darauf eingegangen wird, was wir sagen.

JAMILA: Es gibt ja schon unglaublich viel Literatur über das Thema Schule, aber das wird immer von Erwachsenen geschrieben. Als unsere Schulleiterin Frau Rasfeldt fragte, ob wir ein Buch über unsere Schule schreiben wollten, haben wir gleich begeistert zugesagt.

ALMA: Wir müssen ja letztendlich mit dem Schulkonzept klarkommen, das sich die Erwachsenen ausdenken.

Ihr habt für das Buch einen Fragebogen entwickelt, den ihr an anderen Schulen verteilt habt. Ihr fragt die Schüler zum Beispiel, wie ihre Traumschule aussieht und ob sie sich ernst genommen fühlen.

LARA-LUNA: Einige Schulleiter haben ziemlich ablehnend reagiert, als wir die Bögen verteilen wollten. Sie fühlten sich wohl angegriffen.

ALMA: Es kamen tolle, kreative Ideen von den Schülern. Jemand wünschte sich zum Beispiel größere Räume, so etwas wie Großraumbüros, in denen alle Schüler zusammensitzen können. Manchmal gab es auch traurige Antworten. Wir haben gefragt, wie die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ist. Und ein Schüler hat geantwortet: „Gescheitert“.

JAMILA: Viele wünschten sich mehr Praxis. Gerade an den Gymnasien fanden viele die Schule sehr einseitig. Man sitzt da, hört zu und schreibt auf. Die Schüler wollen andere Sachen lernen als nur Deutsch, Mathe oder Englisch.

Was denn zum Beispiel?

JAMILA: Ich glaube, Schüler wollen Verantwortung übernehmen.

LARA-LUNA: Das ist doch eine der wichtigsten Sachen, die man im Leben braucht: Verantwortung für sich und andere übernehmen, sich kümmern.

Ihr fordert im Buch sogar ein Pflicht-Praktikum schon in der dritten Klasse.

JAMILA: Das ist schon ein bisschen überspitzt formuliert. Aber Kinder, auch jüngere, wollen, dass man ihnen etwas zutraut. Das sehe ich schon an meinem vierjährigen Bruder. Dem gebe ich manchmal mein Handy und sage ihm: Pass mal darauf auf. Und dann macht er das und freut sich, weil er merkt, dass seine große Schwester ihm etwas zutraut.

Ihr habt an euer Schule ein Unterrichtsfach „Verantwortung“.

ALMA: Ja, das haben wir in der siebten und achten Klasse einmal die Woche. Wir müssen uns dafür selbst ein soziales Projekt suchen. Ich habe in einem Kindergarten gearbeitet.

LARA-LUNA: Ich war in einem Altenheim und habe mit den Senioren ein Kochbuch erstellt und ihnen nebenbei Schreiben am Computer beigebracht. Einmal habe ich vergessen, abzusagen. Die Senioren haben sich richtig Sorgen um mich gemacht. Da habe ich gemerkt, dass ich auch dafür Verantwortung habe.

Die Herausforderung: Drei Wochen auf Reisen ohne Erwachsene

An eurer Schule gibt es so einiges, was anders läuft als an anderen Schulen. Zum Beispiel gibt es keine Noten.

ALMA: Ja, bis zur neunten Klasse. Und bis dahin sind die Klassen auch altersgemischt. Wir arbeiten in Lernbüros. Man kommt morgens in die Schule, überlegt sich, auf welches Fach man heute Lust hat, ob Deutsch, Englisch, Mathe oder Natur und Gesellschaft, geht dann in ein Lernbüro und arbeitet dort selbständig. Und wir schreiben Tests, wenn wir dafür bereit sind.

LARA-LUNA: Es gibt die Regel, dass man erst Mitschüler fragt, dann im Buch schaut und nur, wenn man es dann nicht verstanden hat, fragt man den Lehrer.

ALMA: Jeder kann im eigenen Tempo lernen, aber was wir lernen, ist schon im Rahmen des Lehrplans. Wir haben einen persönlichen Tutor, mit dem wir alles besprechen können und der auch mit darauf achtet, wie wir vorankommen.

Wie oft trefft ihr euch mit dem Tutor?

JAMILA: Jeden Freitag führen wir zehn Minuten lang allein ein persönliches Gespräch. Da geht es nicht nur darum, wie man gearbeitet hat, sondern auch darum, wie es einem wirklich geht, zu Hause, in der Schule und überhaupt. Es entwickelt sich ein richtiges Vertrauensverhältnis. Wir beschweren uns sogar, wenn ein Tutorgespräch mal ausfällt und wollen das in der Pause nachholen.

An eurer Schule gibt es außerdem das Fach „Herausforderung“.

LARA-LUNA: Das ist vielleicht das Tollste an unserer Schule. Alle unsere Freunde sind deshalb neidisch. Nach den Sommerferien gehen die Acht-, Neunt- und Zehntklässler drei Wochen lang auf Tour. Man hat für die ganze Zeit nur 150 Euro zur Verfügung und man muss alles allein organisieren, also Übernachtungen und Essen, ohne Hilfe von Erwachsenen. Viele machen eine Radtour oder gehen wandern. Bei meiner ersten Herausforderung war ich zwölf und bin von Berlin nach Münster geradelt.

Haben eure Eltern keine Angst?

ALMA: Es gibt für jede Gruppe einen erwachsenen Betreuer, meistens ist das ein Student. Aber der ist nur zur Beruhigung der Eltern dabei und darf keine Tipps geben. Wenn wir uns verlaufen, dann darf der Betreuer nichts sagen. Und wir müssen den auch mit Essen versorgen.

JAMILA: Bei meiner ersten Herausforderung bin ich mit ein paar anderen Schülern von Berlin an die Ostsee gewandert. Wir hatten nur eine sichere Übernachtungsmöglichkeit und einen ungefähren Plan, wie wir mit dem Essen auskommen könnten. Am ersten Tag haben wir uns verlaufen und irgendwann bin ich mit dem Fuß umgeknickt, aber wir sind trotzdem angekommen. Als ich nicht mehr richtig gehen konnte, haben die anderen mein Gepäck aufgeteilt und getragen.

Würdet ihr das Fach auch anderen Schulen empfehlen?

LARA-LUNA: Ja, unbedingt! Das ist ja gar nicht so schwer umzusetzen und kostet weniger Geld als eine Klassenfahrt.

Welche Erfahrungen habt ihr selbst an anderen Schulen gemacht?

LARA-LUNA: Ich war ziemlich unglücklich an der Grundschule. Es gab ganz schön Druck, dass man gute Noten schreiben sollte. In der ersten Klasse hatte ich eine richtig schlimme Lehrerin, die mich rausgeschickt hat, als ich geweint habe, weil meine Schwester krank war.

JAMILA: Ich war in der fünften Klasse auf einem Schnellläufer-Gymnasium. Meine Grundschullehrerin war fest davon überzeugt, dass ich unterfordert sei. Auf dem Gymnasium sind meine Noten dann aber gleich schlechter geworden und ich habe mir selbst ganz viel Druck gemacht. Ich habe fast nur noch für die Schule gearbeitet und hatte schließlich so eine Art Burn-Out. Ich konnte mich gar nicht mehr richtig freuen.

Ist das denn nicht auch ganz schön chaotisch oder unruhig hier im Unterricht?

JAMILA: Nach meiner Erfahrung war es im Gymnasium mit Frontalunterricht noch unruhiger. Da hat ein Schüler Witze gemacht, dann hat die Klasse gelacht, der Lehrer hat es auf sich bezogen und rumgeschrien. Bei uns arbeitet dagegen jeder still für sich, und der Lehrer hat es gut unter Kontrolle.

ALMA: Es gibt schon oft ein Gemurmel, aber das ist eher eine entspannte Unruhe.

Gibt es etwas, was ihr an eurer Schule verbessern würdet?

ALMA: Naja, das Gebäude könnte ein bisschen hübscher sein. Und das Essen ein bisschen leckerer.

Das Gespräch führte Sylvia Vogt.

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