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Schule: Kunststoff statt Stahl im Mégane-Fahrzeugboden

Autohersteller setzen immer mehr auf intelligenten Materialmix / Renault gehört zu den Kunststoff-Pionieren

Stahl oder Aluminium – diese einst klassische Alternative für den Bau besonders leichter Autos ist in dieser schlichten Form längst überholt. Denn immer deutlicher wird, dass moderner Leichtbau nicht von der Entscheidung für das eine oder andere Grundmaterial abhängt, sondern Frage eines immer raffinierteren Materialmixes ist. Ein Beispiel dafür aus jüngster Zeit ist der neue 5er von BMW, bei dem das Fahrwerk und der Vorderwagen weitgehend aus Aluminium bestehen, das durch raffinierte Niet und Klebetechniken mit Stahlelementen in den übrigen Karosseriebereichen verbunden ist – eine Mischbauweise, die man in München als intelligenten Leichtbau bezeichnet.

Intelligenter Materialmix ist auch das Prinzip, auf das man bei Renault setzt, um Gewicht und damit Kraftstoff zu sparen. So besteht zum Beispiel die Rohkarosserie des Laguna aus hochfesten Spezialstählen, während die Motorhaube aus Aluminium gefertigt ist. Beim Mégane bestehen vordere Kotflügel, Stoßfänger, Frontpartie und Teile des Fahrzeugbodens aus Kunststoffen und Laguna Grandtour, Vel Satis und Espace haben Heckklappen aus Duroplast.

Schon 1972 Kunststoff-Stoßfänger

Kunststoff spielt bei Renault bereits seit 1972 eine Rolle. So war der Renault 5 bei seiner Premiere im Jahr 1972 weltweit das erste Serienauto mit Stoßfängern aus Kunststoff . Komplett aus Verbundwerkstoffen auf Kunststoffbasis gefertigt war auch die Außenhaut der 1984 vorgestellten ersten Generation des Espace. Und wenn man aktuelle Modell betrachtet, dann bestehen rund 15 Prozent aus Kunststoffen und Verbundmaterialien. So hält man den Gewichtszuwachs in Grenzen, der angesichts immer umfangreicherer Sicherheits- und Komfortausstattungen unsere Autos permanent schwerer werden lässt. Denn Airbags, Klimaanlagen und elektronische Assistenzsysteme wie ABS und ESP bringen zusätzliche Pfunde.

Das zwingt dazu, moderne Leichtbauwerkstoffe künftig auch dort einzusetzen, wo dies bislang so gut wie unmöglich schien. So wurde für die neue Mégane-Generation ein Wagenboden aus glasfaserverstärktem Polyester entwickelt. Der ist ein großes komplex geformtes Teil, in dem auch das Reserverad untergebracht ist und das gegenüber einem klassischen Stahlteil rund 35 Prozent leichter ist – aber ebenso stabil. Denn es bestand Prüfungen wie den Front-, Seiten- und Heckaufprall. Und beim Euro-NCAP-Crashtest erreichte der Mégane als erstes Kompakt-Fahrzeug fünf Sterne.

Niedrigere Fertigungskosten

Für Kunststoff statt Stahl für den Wagenboden sprechen aber auch die erheblich niedrigeren Fertigungskosten. Denn immerhin besteht die Mégane Familie aus sieben Modellen mit insgesamt fünf verschiedenen Fahrzeugböden. Das hätte bei einer Großserienfertigung in Stahl mehrere teure Tiefziehpressen erfordert. Bei der Fertigung aus Kunststoff konnte man sich dagegen auf fünf sehr viel preiswertere auswechselbare Gussformen beschränken und gleichzeitig auch noch die Flexibilität der Fertigung erhöhen. Zudem lassen sich Kunststoffe in nur einem Arbeitsgang zu komplexen Teilen formen, für die bei der Fertigung aus Blech mehrere Montage- und Zusammenbauschritte nötig wären. Das zeigt zum Beispiel die Heckklappe des Vel Satis, die sich in dieser Form durch Tiefziehen von Stahlblech nur mit sehr hohem Aufwand realisieren ließe.

Eine tragende Rolle spielen moderne Kunststoffe heute bei der Lichttechnik. Denn Polykarbonat für die Streuscheiben ist ebenso transparent wie Glas, aber leichter und weniger steinschlag- und stoßempfindlich. Und da sich dieser Kunststoff ohne Nachteile für die Stabilität in die unterschiedlichsten Formen gießen lässt, haben die Designer erheblich mehr Spielraum für die Formgebung als bei Streuscheiben aus Glas.

Praktisch immun gegen Rempler und gut formbar sind die vorderen Kotflügel aus Thermoplast, wie sie bei Laguna, Clio, Vel Satis, Espace und der kompletten Familie des Mégane Standard sind. Der elastische Werkstoff steckt kleine Rempler ohne Folgen weg und nimmt von selbst wieder die ursprüngliche Form an, ohne dass Kratzer zurückbleiben. Auch die Polypropylen-Schutzleiste der Hecktür des Mégane zeigt Nehmerqualitäten, verformt sich bei bis zu acht Kilometer pro Stunde ohne zu reißen. Das senkt Werkstattkosten und Versicherungsprämien.

Neben reinen Kunststoffteilen werden im modernen Karosseriebau heute Hybrid-Bauteile aus Stahl und Kunststoff immer wichtiger. Ein Beispiel sind hier die so genannten Frontends. So setzt Renault beim Frontend des Mégane, das den Motorraum nach vorn abgrenzt und das Kühlermodul und die Scheinwerfer aufnimmt, auf eine neuartige Hybrid-Bauweise. Bei der wird ein hochfester gelochter Stahlträger verwendet, auf den Kunststoff gespritzt wird. Der dringt beim Aufspritzen durch die ins Stahlblech eingestanzten Öffnungen auch ins Innere des Metallteils ein. Ergebnis dieser modernen Fertigungstechnik ist ein Materialverbund, der sehr viel belastbarer ist als ein homogenes Bauteil.

Mit dem verstärkten Einsatz von Kunststoffen eröffnen sich auch interessante Möglichkeiten Rezyklate zu verwenden. So werden beim Mégane rund 16 Kilogramm aufbereiteter Gebrauchtkunststoffe verbaut, was in diesem Fahrzeugsegment ein Spitzenwert ist. Man findet sie zum Beispiel als Trägermaterial für die Kühlermaske, als Radkastenverkleidung und als Motorunterschutz.

35 Prozent Rezyklat

Geradezu beispielhaft für die umweltgerechte Konstruktion des Mégane ist dessen vorderer Stoßfänger: Er besteht zu 99 Prozent aus einem einzigen Werkstoff und zu 35 Gewichtsprozent aus Rezyklat. In wie großem Umfang man künftig Kunststoffrezyklate einsetzen könnte, zeigt die bereits im vergangenen Jahr vorgestellte Studie Ellypse. Denn bei ihr bestehen Motorhaube, Kotflügel und Heckpartie aus recyceltem Kunststoff, dessen Ausgangsmaterial Plastikteile von Altautos sind. Für die Karosserie des Concept Cars wurden aufbereitetes Aluminium und recycelter Stahl verwendet. ivd

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