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Ethikunterricht: Qualitätskriterien für die „Laberstunde“

Ein Jahr nach dem Volksbegehren Pro Reli ist die endgültige Form des Ethikunterrichts noch unklar.

„Vor dem Jugendklub wurde ich zusammengeschlagen. Ich habe mich mit meinem besten Freund geschlagen, mit der Faust in die Fresse. Einer hat mich vom Fahrrad aus angespuckt, den habe ich vom Fahrrad runtergerissen und mit dem Schloss geschlagen. Die kamen zu zehnt und standen um mich herum, haben Todeskreis gemacht.“

Das hat ein Schüler der Lichtenrader Carl-Zeiss-Oberschule erlebt. Seine Schilderung wurde zusammen mit Alltagserfahrungen anderer Schüler in einem Buch veröffentlicht. Wenige Schilderungen zeugen von so viel Brutalität wie diese, aber viele sind ein Ausdruck von Überforderung und Trostlosigkeit.

„Der Ethikunterricht ist ideal, um mit Schülern über ihre Probleme zu sprechen“, sagt Monika Kurth-Schaefer, Klassenlehrerin einer 8. Klasse an der Carl-Zeiss-Schule. Dann ist die Klasse zusammen und nicht wie in anderen Fächern in Kurse aufgeteilt. Der Ethikunterricht sieht außerdem dezidiert vor, dass die Schüler über Probleme menschlichen Handelns nachdenken, über unterschiedliche Werte und Orientierungen.

„Wir wollen nicht, dass der Ethikunterricht zu einer Laberstunde verkommt, in der Probleme aufgearbeitet werden, die in einer Klasse liegen bleiben“, sagt hingegen Gerhard Weil, Sprecher des Bündnisses Pro Ethik. Das Bündnis ging 2009 aus dem Forum Gemeinsames Wertefach hervor, das für die Einführung eines Pflichtfachs Ethik gekämpft hatte. Dem Bündnis gehören unter anderem die GEW, der Humanistische Verband, die Linke, die SPD und die Grünen an.

Um das Fach aufzuwerten, hat das Bündnis Pro Ethik eine „Qualitätsinitiative“ angestoßen. Gerhard Weil und seine Mitstreiter fordern, dass vier Jahre nach Einführung des Fachs und ein Jahr nach dem gescheiterten Volksentscheid Pro Reli eine Bestandsaufnahme erfolgt, dass die Lehrer besser ausgebildet werden und dass der Rahmenlehrplan kompakter wird – mit mehr konkreten Zielen und mehr Raum für die Weltreligionen und Weltanschauungen. Vergangene Woche lud das Bündnis seine Mitglieder zu einem Runden Tisch. Am Donnerstag sollen die Ergebnisse vorgestellt werden.

Im Moment ist nicht einmal klar, wie viele Lehrer das Fach in Berlin unterrichten. Das Bündnis Pro Ethik hat errechnet, dass derzeit 4400 Klassen Ethikunterricht erhalten. Die Bildungsverwaltung weiß, dass 950 Lehrer die empfohlene ein- bis dreisemestrige Forbildung absolviert haben, nicht aber, wie viele fachfremde Lehrer im Einsatz sind. In der Carl-Zeiss-Schule haben von 18 Ethiklehrern gerade mal fünf an der Fortbildung teilgenommen.

Klassenlehrerin Monika Kurth-Schaefer gehört nicht dazu. Sie unterrichtet Ethik dieses Schuljahr zum ersten Mal. Sie habe das Fach übernommen, weil sie Klassenlehrerin sei und am besten wisse, mit welchen Konflikten ihre Schüler gerade kämpften. Ausgebildet ist sie als Biologie- und Deutschlehrerin.

Ein bisschen mutet ihr Ethikunterricht an einem Freitagmorgen auch wie Deutschunterricht an. Es geht um die Frage, was Kommunikation bedeutet. Die Achtklässler sollen passende Ober- und Unterbegriffe an der Tafel sortieren. Anschließend sollen sie erörtern, wie sich menschliche von tierischer Kommunikation unterscheidet, und eine Situation analysieren, in der auf unterschiedliche Weise Kritik geübt wird. Als Orientierung für den Unterricht dienen der Rahmenlehrplan und ein Schulbuch. „Eine Fortbildung wäre sinnvoll“, sagt Kurth-Schaefer, „aber das schaffe ich zeitlich nicht.“

In der 7. und 8. Klasse stehe der Alltag der Schüler im Mittelpunkt des Ethikunterrichts, sagt Schulleiter Stephan Zapfe. Darauf könne ein Lehrer reagieren, auch wenn er keine spezielle Ausbildung für das Fach habe. Schwieriger werde es in Klasse 9 und 10, wenn aus lebenspraktischen Fragen fundierte philosophische Exkurse werden sollen: „Das kann man nicht aus dem Stegreif heraus machen, da bräuchten wir gut ausgebildete Lehrer.“

Die ersten studierten Ethiklehrer werden erst in vier Jahren an Berlins Schulen kommen. Ein entsprechender Studiengang wurde 2007 an der FU eingerichtet. Deshalb fordert das Bündnis Pro Ethik eine viersemestrige berufsbegleitende Weiterbildung. Der Forderung nach konkreteren Vorgaben im Rahmenlehrplan und mehr Raum für die Themen Religion und Weltanschauung stehen Schulleiter Zapfe und Klassenlehrerin Kurth-Schaefer skeptisch gegenüber. Gerade die Offenheit des Lehrplans gebe ihnen die Möglichkeit, auf aktuelle Probleme in der Klasse eingehen zu können. Religionskunde sei auch jetzt schon Teil des Unterrichts.

Dass sich bald etwas ändert, ist wohl nicht zu erwarten. Auf Drängen des Bündnisses hat sich Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD) jetzt zwar bereit erklärt, den Rahmenlehrplan „zu überprüfen“. Von einer „Überarbeitung“ will er aber erst einmal nichts wissen. Auch für eine Bestandsaufnahme sieht Zöllner keinen Anlass. „Wenn man ein Fach neu einführt, hat man immer eine Übergangsphase“, sagt sein Sprecher. „Von Jahr zu Jahr wird es dann besser.“

Claudia Keller

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