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Schule: „Radaraugen“ für unsere Autos

„Treten Sie ruhig einmal fest aufs Gaspedal und lassen den Wagen rückwärts rollen“, bat der Ingenieur auf dem Beifahrersitz. Wir zögerten.

„Treten Sie ruhig einmal fest aufs Gaspedal und lassen den Wagen rückwärts rollen“, bat der Ingenieur auf dem Beifahrersitz. Wir zögerten. Zu gut hatten wir in Erinnerung, wie schnell man beim Rückwärtsfahren unerwünschten Kontakt mit hinter einem stehenden Fahrzeugen bekommt. Gewiss, moderne Einparksysteme, die mit Infrarotsystemen den Abstand zu anderen Fahrzeugen messen und durch akustische Signale informieren, wie weit man noch vom Stoßfänger entfernt ist, haben das Einparken einfacher gemacht. Aber wenn man die Signale nicht beachtet und nicht gefühlvoll mit Gas, Kupplung und Bremse umgeht, ist es schnell passiert, dass man auffährt.

Als wir beim zweiten Versuch kräftiger Gas gaben, wollte der Motor das gar nicht recht annehmen. Und als wir weiter auf dem Gas blieben, obwohl wir uns zwei Pylonen hinter uns bedrohlich näherten, nahm das Motormanagement das Gas weg und die Bremse wurde automatisch aktiviert. Das Auto hatte das Hindernis hinter sich erkannt und vollautomatisch dafür gesorgt, dass wir nicht auffuhren.

„Gesehen“ hatte der Wagen mit Hilfe einer neuen Technik, die sich Nahbereichsradar nennt. Das ist eine inzwischen von einem Konsortium aus zahlreichen Automobilherstellern, Systemlieferanten und Sensorproduzenten unter dem Kürzel „SARA“ (Short range Automotive Radar frequency Allocation) so gut wie serienreif entwickelte Technik, die es Autos ermöglicht, sein Umfeld in einem Bereich von bis zu 20 Meter zu beobachten, Hindernisse oder auch Personen zu erkennen und dann, wenn Gefahr droht, Systeme zu aktivieren, mit denen man im besten Fall der Gefahr noch ausweichen kann oder dann, wenn das nicht mehr möglich ist, Schutzsysteme im Fahrzeug zu aktivieren, die dazu beitragen, die Folgen eines unvermeidbaren Unfalls zu minimieren.

So kann ein Fahrzeug dank dieser Technik bereits sehr viel früher aktiv werden als mit den heute üblichen klassischen Auslösesystemen für Airbags und andere Schutzeinrichtungen, die erst dann in Sekundenbruchteilen reagieren, wenn es bereits zu einem Crash gekommen ist. Denn dank der neuen Technik kann das Fahrzeug den drohenden Crash aus den ermittelten Daten bereits sehr viel früher erkennen, kann die Aufprallgeschwindigkeiten ermitteln und die Sicherheitssysteme so aktivieren, dass sie optimal wirken. Und wenn es gilt, einen drohenden Crash durch eine automatische Gefahrenbremsung vielleicht sogar noch zu vermeiden, sind selbst Sekundenbruchteile sehr viel Zeit. Denn wenn bei Tempo 100 nur eine Zehntelsekunde früher gebremst wird, dann bedeutet das einen um immerhin drei Meter kürzeren Bremsweg. Drei Meter, die oft genug darüber entscheiden, ob es zu einem Unfall kommt oder nicht.

Rund 88 Prozent aller Auffahrunfälle könnten dank der neuen Radartechnik positiv beeinflusst werden, wie es Sicherheitsexperten ausdrücken. Und nicht nur dort könnte das System hilfreich sein. Denn mit Hilfe solcher „Radaraugen“ lassen sich zum Beispiel auch Stop-and-Go-Assistenten verwirklichen, die im Stau dafür sorgen, dass das Auto automatisch und stets mit ausreichenden Sicherheitsabständen fährt, bis sich der Stau aufgelöst hat. Auch als Spurwechselassistent, der warnt, wenn bei einem Spurwechsel Gefahr droht, lassen sich solche Radarsysteme einsetzen – und es gibt eine Fülle weiterere Anwendungen.

Preiswert und fast serienreif

Besonders positiv bei diesem System ist, dass es sehr viel preiswerter ist als die heute schon für Abstandsregeltempomaten eingesetzten Radarsysteme, die ein Vielfaches kosten – eine Technik also, die sich auf breiter Ebene ohne große Zusatzkosten verwirklichen ließe. Und in den USA ist sie bereits auf dem Weg. Nicht so allerdings in Europa. Denn dieses System im 24-GHz-Bereich benutzt Frequenzen, die auch von Richtfunkstrecken, Erderkundungssatelliten und der Radioastronomie verwendet werden. Die Furcht, dieses Nutzer könnten durch Autos mit Nahbereichsradar gestört werden, scheint allerdings unberechtigt. Denn in zahlreichen Versuchen hat sich längst erwiesen, dass die möglichen Störeinflüsse angesichts der geringen Sendeleistungen vernachlässigt werden können. So haben die Regulierungsbehörden für die Vergabe von Funkfrequenzen in den USA bereits im Sommer 2002 grünes Licht für diese Technik gegeben,

Nicht so in Europa. Hier wird seit nunmehr fast zwei Jahren um eine Entscheidung gerungen und es ist nicht auszuschließen, dass dieses Ringen noch sehr viel länger dauert. Zu lange allerdings für die Techniker, die bereits heute entscheiden müssen, ob sie solche Systeme in Fahrzeugen der derzeit in Entwicklung befindlichen neuen Generationen einsetzen. Und so war die Präsentation in Berlin zugleich ein Appell, endlich zu einer Entscheidung zu kommen, die in den USA längst gefallen ist. ivd

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