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Sekundarschulen: Die Lehre der Mönche

Vor einem Jahr fusionierten die Tempelhofer Werner-Stephan-Hauptschule und die Daag-Hammarskjöld-Realschule zur Sekundarschule an der Ringstraße. Der Start war holprig. Mit neuen Wegen wollen sich die Pädagogen nun aus den Problemen kämpfen.

Von der Kunst der Kung-Fu-Mönche ist Reiner Haag begeistert. Der Meister Yan Yao vom Berliner Shaolin-Tempel könne eine Nadel durch eine Fensterscheibe werfen, außerdem mit seinem Kopf eine Eisenplatte zertrümmern, erzählt der Lehrer. So spektakulär ging es dann aber nicht zu am Mittwochabend in der Sekundarschule an der Ringstraße in Tempelhof, als Schulleiterin Hannelore Weimar und Großmeister Yong Chuan, der Abt des einzigen Shaolin-Tempels in Deutschland und ranghöchster Shaolin-Mönch Europas, einen einzigartigen Kooperationsvertrag unterzeichnet haben.

Die Kooperation mit dem Shaolin-Tempel ist Teil des Programms, mit dem die Schule künftig ihren Ganztagsbetrieb gestaltet. Die Siebt- und Achtklässler dürfen je drei Kurse wählen, die sie im Schuljahr nacheinander durchlaufen. Einer der Kurse wird im Shaolin-Tempel in Wilmersdorf stattfinden, wo die Schüler auch in Kung-Fu unterrichtet werden. Reiner Haag hatte die Idee für die Kooperation. Mit zwei Klassen war er bereits im Tempel zu Besuch; sämtliche Schüler hätten zwei Stunden lang zugehört, lobt Haag. Das ist für ihn nicht der Alltag.

Nicht ganz ein Jahr ist es her, dass Reiner Haag mit dem Tagesspiegel über die massiven Startprobleme der Sekundarschule sprach. Die Schule an der Ringstraße ist durch die Fusion der Werner-Stephan-Hauptschule und der Dag-Hammarskjöld-Realschule entstanden. Vor der Fusion gehörte die Werner-Stephan-Schule zu den angesehensten Hauptschulen der Stadt; es dauerte, bis sich die ehemals eigenständigen Schulen zusammenfanden, massive räumliche Probleme und Versäumnisse des Bezirksamtes erschwerten den Start zusätzlich. Die Diskussion um die Schulreform, um alte und neue Restschulen, ist vor wenigen Tagen neu entbrannt, nachdem ein Brandbrief der Neuköllner Heinrich-Mann-Schule bekannt geworden war. Haag erntete mit seiner öffentlichen Kritik damals nicht nur Zuspruch. Gesundheitliche Probleme kamen hinzu, er dachte ans Aufhören. Doch er sagt: „In dem Moment, in dem meine Ideen funktionieren, wiegt das mehr als die Dinge, die nicht funktionieren.“

Und Haag hat eine Menge Ideen. Yong Chuan, den Abt des Shaolin-Tempels, kennt er durch einen gemeinsamen Freund. Bei einem Abendessen mit chinesischem Feuertopf kamen er und der Großmeister darauf, Schule und Tempel zusammenzuführen. Jetzt wird der Vertrag feierlich unterzeichnet. Dann erscheint der Meister Yan Yao – ohne Nadel, aber mit fünf Kung-Fu-Schülern, auf der Bühne. Darunter ist auch der 16-jährige Joel, er trainiert seit drei Jahren im Tempel. Er sagt, er sei seitdem gelassener geworden: „Ich lasse mich von meinen Emotionen nicht mehr so leicht beherrschen. Denn wenn ich während dem Training nachdenke, würde es nicht mehr funktionieren.“ Jetzt steht er mit einer großen Stange vor den Schülern und wirbelt sie durch die Luft. Eine Schülerin kreischt vor Aufregung.

Später werden weitere Kurse vorgestellt: Theater, Kommunikation und Konfliktbewältigung, Interkulturelles Kochen. Eine Schülerin spielt eigene Stücke am Klavier und singt, es gibt Tanz, Theater und Rap – die Schüler beweisen Talent. Für Schulleiterin Weimar ist eines der wichtigsten Ziele, den Schülern das Gefühl zu geben, „ich kann was und ich mach was daraus“. Dafür müssten die Lehrer aber bereit sein, zusätzliche Zeit zu investieren. Es dürfe nicht gelten: „Arbeitszeit ist gleich Unterrichtszeit“.

Einer, der sich über die Entwicklung freut, ist Siegfried Arnz, der in der Senatsbildungsverwaltung für die Schulreform verantwortlich ist und zur Schule an der Ringstraße eine besondere Verbindung hat: Er war jahrelang Leiter der Hauptschule, bevor er in die Verwaltung wechselte. „Die Strukturreform ist alternativlos“, sagt Arnz. „Heute haben wir keine Schulen mehr, die Sackgassen sind.“ Haags Beschwerde war für Arnz unerfreulich, dennoch ist er zur Veranstaltung gekommen. Und Haag bereut seine Kritik nicht. „Es war ein Weckruf“, sagt er.

Ein Schüler, auf den die Lehrer besonders stolz sind, ist Sulei, 15. Er wird von Haag auf die Bühne geholt und gefragt, wie es ihm ging, als er vor drei Jahren auf die Hauptschule kam. Sulei sagt: „Ich hatte viele Vieren und viele Fehlstunden. Es ging mir nicht so wirklich gut.“ Haag fragt ihn, welche Ämter er mittlerweile in der Schule erfülle. Sulei überlegt nicht lange: „Streitschlichter, Vertrauensschüler, Vorsitzender im Schülerrat, Schulsprecher, Klassensprecher.“ Solche Betätigungsfelder brauchen die Schüler, meint Haag. Sulei hat jetzt einen Notendurchschnitt von 2,3, er schafft vielleicht sogar den mittleren Schulabschluss.

Reiner Haag indes schmiedet schon neue Pläne. Einen Chinesisch-Kurs hätte er gerne. Eine Reise nach China, für diejenigen Schüler, die sich am meisten engagieren. Das hat Sulei in der Tasche.

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