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Schule: Wer bremst denn da?

Assistenz-Systeme fürs Auto werden nicht nur immer zahlreicher – sie werden auch immer schlauer

Der blaue Audi sieht zunächst aus wie jeder Kombi dieser Baureihe. Dann aber fallen die Kameras auf dem Armaturenbrett sowie hinten auf, auch das LaserEntfernungsmessgerät auf dem vorderen Stoßfänger steht nicht auf der Zubehörliste. Der Audi ist ein Testwagen ganz besonderer Art und gehört dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Genauer: dem Institut für Verkehrsführung und Fahrzeugsteuerung in Braunschweig. Untersucht wird damit das Verhalten von Autofahrern und ihrer Umgebung, und zwar absolut gleichzeitig.

Es geht zum Beispiel um die Bewertung von Fahrer-Assistenzsystemen. Autos werden per Elektronik immer schlauer gemacht, sie greift helfend ein, wenn bestmöglich gebremst werden soll oder das Fahrzeug bei gefährlichen Manövern auszubrechen droht. Selbst wenn eine Leitlinie auf der Straße überfahren wird, gibt es bei manchen Autos Warnmeldungen. Aber ist das in jedem Fall – und vor allem: bei jedem Fahrer – richtig?

Eine Bremsunterstützung etwa ist für Fahrer gedacht, die gar nicht wissen, dass sie bei einer Gefahrenbremsung kräftigst ins Pedal treten müssen. Die Steuerungselektronik ermittelt aus unterschiedlichen Messdaten, dass das der Fall ist und greift unterstützend ein. Das macht sie aber bei einer älteren, körperlich schwachen Fahrerin ebenso wie beim durchtrainierten jungen Mann, der vielleicht sogar schon etliche Fahrertrainings absolviert hat. Kurz: Sie braucht die Hilfe, er nicht. Den jungen Mann könnte das Eingreifen günstigenfalls nerven, im schlimmsten Fall sogar irritieren, also vom ohnehin schon brenzligen Verkehrsgeschehen ablenken. Bevor man nun jedem Fahrer dieselbe Technik zuordnet, muss erst einmal geklärt werden, ob sie tatsächlich jedem dient, sagt der zuständige Abteilungsleiter Jürgen Rataj. Das Antiblockiersystem zum Beispiel hilft wirklich allen, denn so gut kann niemand reagieren. Bei anderen Assistenzsystemen jedoch ist das vom Fahrer, seinen Kenntnissen, Erfahrungen und seiner aktuellen Verfassung abhängig.

Am Anfang solcher Untersuchungen steht daher die Frage, wie das Fahrverhalten aussieht, ob ein Assistenzsystem helfen könnte, wenn es in der Lage wäre, sich auf den Fahrer einzustellen. An genau diesem Punkt kommt der Audi ins Spiel, denn er ermöglicht die präzise Beobachtung aller zur Beurteilung wichtigen Messgrößen. Bis auf den jeweiligen Sekundenbruchteil genau ist das Geschehen später nachvollziehbar, aus allen wichtigen Perspektiven. Allein nach vorn zielen drei Minikameras, eine weitere wird vom aktuellen Blick des Fahrers gesteuert, der seinerseits von drei Kameras überwacht wird. Damit ist der Unterschied zwischen dem, was in der Situation sichtbar war und dem, worauf der Fahrer geachtet hat, erkennbar.

Natürlich wird auch das Geschehen am Heck aufgezeichnet, schließlich hat auch das einen Einfluss auf den Fahrzeuglenker – man denke nur an einen Drängler, der einem im Nacken sitzt. Ein hochpräzises GPS-System ermöglicht es zusätzlich, die Stelle zu ermitteln, an der das Geschehen stattfand. Weitere hoch empfindliche Sensoren ermitteln zusätzliche Parameter wie zum Beispiel den Seitenwind und den Lenkeinschlag.

Und die physiologischen Randbedingungen des Fahrers? Sie werden ebenfalls aufgezeichnet: die Atem- und Pulsfrequenz, der Lidschlag, die Feuchtigkeit der Haut, die Anspannung der Nackenmuskeln, die Stimmfrequenz, all diese Informationen geben Aufschluss über die aktuell einwirkenden Stressfaktoren und ihre Bewältigung. Parallel dazu wird der Testfahrer vor, während und nach der Fahrt befragt. So treten Abweichungen zwischen seiner subjektiven Einschätzung und der realen Befindlichkeit zutage.

Seit zwei Jahren ist der Audi unterwegs, zwischendurch wurde seine Messtechnik immer weiter verbessert und auch jetzt „fehlt noch was“, schmunzelt Rataj, Entfernungssensoren an der Seite und zusätzliche vorn. Dabei wurden schon mehr als eine halbe Million Euro in das Fahrzeug investiert.

Deutlich mehr als 100 Fahrer haben den Audi schon durch den Straßenverkehr gelenkt. Genauer will der Versuchsleiter nicht werden, denn zu den Auftraggebern von Studien gehören auch etliche, teils miteinander konkurrierende Autohersteller. Gerade sie haben ja ein großes Interesse daran zu erkunden, welche Technik einen Produktvorteil darstellen und welche eher abschrecken kann.

Denn Menschen handeln nicht immer so, wie es strengen Regelwerken entspricht – sie setzen sich bisweilen bewusst darüber hinweg, sei es aus Bequemlichkeit, oder aus einer momentanen Laune heraus. Ein Assistenzsystem, das auch in solchen Fällen rigoros eingreift, wird als Einschnitt in die persönliche Freiheit betrachtet und abgelehnt.

Hilfreich jedoch wird es dann, wenn es dazu beiträgt, versehentliche Fehler zu korrigieren, die unter Umständen gefährlich werden. Dazu muss das Assistenzsystem erkennen können, wann eine für diesen Fahrer typische Ausnahmesituation vorliegt. Und dafür muss die Technik immer noch deutlich schlauer werden.

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