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Berlin: Schwaben empört über Thierses Lästereien

Bundestagsvizepräsident bekräftigt seine Kritik an den Zuzüglern in Prenzlauer Berg.

Von
  • Fatina Keilani
  • Matthias Meisner

Sie versuchen es ja mit Humor zu nehmen, aber es klappt nicht richtig. Mit einer „Schwäbischen Kulturwoche“ warben die Zuzügler aus dem Südwesten der Republik im Herbst für sich, mit dem Theaterstück „Schwabenhatz“ gehen sie im neuen Jahr sogar auf Tournee. Doch ihre Beliebtheit steigert das bei eingeborenen Berlinern nicht. Die Schwaben gelten bei vielen als Mitverursacher der Gentrifizierung. Häufiger Vorwurf: Sie verdrängen die Alteingesessenen und treiben die Mieten in die Höhe. Als sich nun auch noch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) in einem Zeitungsinterview zu Lästereien über Schwaben in Berlin hinreißen ließ, brach eine Welle entrüsteter Reaktionen über ihn hinein – wodurch Thierse seine Vorurteile eher bestätigt sah. Die Aufregung über seine Interview-Äußerungen sei „lächerlich“, sagte der SPD-Politiker am Neujahrstag dem Tagesspiegel. Dass sich die „organisierte Schwabenschaft“ so über seine „freundlich-heitere Bemerkung“ mokiere, „forciert eher Vorurteile, als dass es sie abbaut“, sagte Thierse. „Dass Schwaben so ernst reagieren, überrascht mich. Berliner haben mehr Witz.“

Die heftigen und recht humorfreien Reaktionen deuten darauf hin, dass das schwäbische Selbstbewusstsein Kratzer bekommen hat. Aber was hatte Thierse eigentlich gesagt? Der gebürtige Breslauer, der seit 40 Jahren in Prenzlauer Berg wohnt und die Veränderungen des Viertels miterlebt hat, hatte in einem Interview mit der „Berliner Morgenpost“ ironisch die Befürchtung geäußert, er als einer der letzten Eingeborenen im Kiez müsse bald unter Artenschutz gestellt werden. Zwar störten ihn die vielen zugezogenen Schwaben nicht grundsätzlich, aber wenn ihm beim Bäcker Wecken angeboten würden statt Schrippen und der Pflaumenkuchen plötzlich Datschi heiße, dann ärgere ihn das. „In Berlin sagt man Schrippen – daran könnten sich selbst Schwaben gewöhnen“, sagte Thierse. „Ich wünsche mir, dass die Schwaben begreifen, dass sie jetzt in Berlin sind und nicht mehr in ihrer Kleinstadt mit Kehrwoche.“

Im Schwabenland äußerten sich sogar Leute kritisch, von denen viele Berliner noch nie zuvor gehört hatten. „Wir in Baden-Württemberg profitieren sehr von unseren Migranten. Auch beim Essen. Das tut den Berlinern auch gut“, sagte Verdi-Landeschefin und SPD-Landesvize Leni Breymaier der Nachrichtenagentur dpa. Grünen-Chef Cem Özdemir, gebürtig aus dem schwäbischen Bad Urach, äußerte sich ebenfalls: „Berlin war schon immer ein Schmelztiegel. Gerade ein selbst erklärter Urberliner wie Wolfgang Thierse sollte sich dieser Tradition bewusst sein“, sagte Özdemir dem Tagesspiegel. Manche nähmen es mit der Geografie nicht so genau: „Irgendwie sind alle Wessis Schwaben. Und was den Berliner Dialekt angeht, hat sicher kein Schwabe etwas dagegen, dass er gepflegt wird. Wir pflegen unser Schwäbisch ja auch.“

Baden-Württembergs Ex-Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) sprach einen Punkt an, den der Berliner nicht so gern hört: „Ohne die Schwaben wäre die Lebensqualität in Berlin nur schwer möglich. Wir zahlen da ja jedes Jahr viel Geld über den Länderfinanzausgleich ein“, zitiert ihn die dpa.

Linken-Chef Bernd Riexinger sah die Sache politisch. Dem Tagesspiegel sagte er: „Das größte Problem von Thierse und Genossen kommt derzeit gebürtig aus Hamburg, nicht aus Schwaben.“ Gemeint war Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Riexinger, selbst Schwabe, fügte hinzu: „Wenn man die Aussetzer von Thierse und Steinbrück zusammenzählt, fragt man sich, ob bei der SPD jemand den Selbstzerstörungsknopf gedrückt hat.“

Von einer Unterwanderung Berlins durch die Schwaben kann jedenfalls nicht die Rede sein. Zwar zogen seit 2001 jährlich im Durchschnitt 6250 Menschen aus Baden-Württemberg nach Berlin, aber aus anderen Ländern kamen viel mehr.

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