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Berlin: Sechs Jahre gelitten – vergebens

Lange kämpften die Mieter der „Luise“ für ihr Haus und ertrugen den Baulärm. Jetzt ist Schluss

Noch vor einem guten Jahr waren sie froh, wenn sich jemand ihrer erbarmte. Damals diktierten die Mieter freimütig und mit revolutionärer Geste die kurze Geschichte und bewegende Gegenwart ihrer „Luise“ in Kameras und Stenoblöcke. Berichteten über ihren Kampf ums Dasein in dem 200 Meter langen Wohnhaus an der Luisenstraße, hofften auf Verbündete gegen die Absicht diverser Gremien des Bundestages, fast 400 Leute aus 172 Wohnungen zu graulen, um danach den letzten DDR-Plattenbau in Mitte platt zu machen. David gegen Goliath. Und jetzt?

Aus dem Haus des Widerstands ist ein Geisterhaus geworden. Feine Spinnenfäden kleben an Klingelknöpfen. Die meisten Bewohner sind ausgezogen. Sie hinterließen als Erinnerung an bessere Zeiten ihre Namen an den Haustüren der Luisenstraße 22 bis 30 und Schiffbauerdamm 25. Nur noch in zwei, drei Wohnungen brennt abends das Licht. Aber die letzten Mohikaner vom Fähnlein der wenigen Aufrechten haben nun keine Lust mehr, mit uns zu reden. Das Spiel ist aus. Der eine weist uns barsch von der Tür, ein anderer lässt seinen Anrufbeantworter sprechen. Freundlich ist nur noch jener Mann im roten Pullover, der gerade seinen Audi mit ein paar Umzugskartons belädt. Die letzte Fuhre von der alten „Luise“ zur neuen „Leipziger“ um fünf Ecken.

„Fällt es schwer, hier auszuziehen?“

„Nein, nun nicht mehr. Die wollten uns doch irgendwie immer weg haben. Nun ist es ihnen gelungen . . .“

„Demnach haben Sie den ganzen Baulärm für den Bundestag direkt an der Rückseite Ihres Hauses jahrelang umsonst ertragen?“

„Ja. Das war heftig. Unser Haus hat gelitten. Die Wohnung ist von Rissen durchzogen. Die schöne Aussicht gen Westen ist verstellt. Nun aber gucken wir von der Leipziger Straße zum Gendarmenmarkt. Ist doch ein guter Ausgleich?!“

Die „Luise“ wurde 1990 vor allem für Angestellte des Dom-Hotels, dem heutigen Hilton, gebaut; äußerlich nicht besonders schön, aber praktisch, niedrige Mieten und Tiergarten-Spreeblick inclusive. Nach der Wende rückt das Haus am Mauerrand plötzlich direkt in die neue Mitte, und als Axel Schultes sein West und Ost verbindendes „Band des Bundes“ entwirft, diese „Spange“ über die Spree, ist das Gebäude schon ein architektonischer Querulant – es stört und passt nicht mehr ins Regierungsviertel.

1997 rücken die Baumaschinen an. Am Hinterhof des Luisenblocks soll ein Bundestagsbau entstehen. Die Hölle tut sich auf am grünen Strand der Spree: Mindestens 85 Dezibel würden die Leute ohnehin in die Flucht schlagen, denken Senat und Bund in trauter Gemeinsamkeit, Bausenator Klemann plädiert schon mal für Abriss, ein gemeinsamer Ausschuss von Bundesregierung und Senat meint im Mai 1997, dass es nicht sinnvoll sei, das „ohnehin ziemlich marode“ Wohngebäude auf Dauer zu erhalten, zumal Reparaturen teurer würden als der Abriss. Um sechs Jahre zeitversetzt haben all diese Leute ihr Ziel erreicht, den Bau von Mietern entsorgt und den allerletzten Hartnäckigen die Verträge gekündigt. Bald soll die Luise abgerissen werden. So wird Platz für eine „ Nordallee“ als Zugang zu den Bundestagstiefgaragen, der Rest wird Rasen. Fernsehzuschauer sehen dann beim Live-Gespräch aus dem ARD-Studio an ihrem rechten Bildrand nicht mehr dieses gelb-braune Plattenhaus, sondern eine gläserne Fassade. Hierher ziehen Büros und Bücher der Bundestagsbibliothek.

Unser Abgesang auf ein halbwegs intaktes Haus, das einfach nur an der falschen Stelle steht, wäre unvollständig ohne eine Würdigung der Kosten und Mühen, mit denen der Bund sein Gelände clean macht. „Hier prallen alle nur denkbaren Gegensätze aufeinander: Berlin gegen Bonn, Ost gegen West, Bezirk Mitte gegen Senat und dann noch manchmal jeder gegen jeden“, hatte uns 1997 ein Mann gesagt, der für die „Arbeitsgemeinschaft für Sozialplanung und angewandte Stadtforschung“ namens „Spas“ die Mieter beraten sollte, um ein möglichst gerechtes Sozialplanverfahren in Gang zu bringen. Heute ist sich der Spas-Vertreter sicher, dass den einzelnen „ein gewisses Opfer“ zugemutet würde: Die Leute haben nett gewohnt, zahlten sieben Mark 55 für den Quadratmeter Miete in bevorzugter Gegend und hatten eine schöne Aussicht. „Und nun diese lebensgeschichtlichen Entscheidungen: Wo ziehen wir hin?“ sagt die Spas, der „alle Fährnisse des Lebens“ begegnet sind, bis hin zu einem Selbstmord.

Den Mietern wurde jede Art von Hilfe zuteil, und 95 Prozent entschieden sich für den vergoldeten Handschlag des Bundes. Viele finden sich in den beiden bundeseigenen Wohnblocks in der Leipziger Straße wieder, manch einen zogs ins feine Dahlem. Es gibt eine Pauschale von 75 Euro pro Quadratmeter zur Überbrückung der Differenz teurerer Mieten, das macht im Schnitt 5000 Euro. Die Umzugs- und Maklerkosten werden erstattet, für den Verlust der (vermietereigenen) Einbauküchen gibt es eine Entschädigung.

Eigentlich kann keiner mehr klagen. Die Mieter nicht und nicht der Bund, weil er sie endlich los ist, die alte Luise.

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