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Berlin: "Seit dem Kriegs-Parteitag ist das grüne Projekt endgültig tot"

BERLIN ."Jetzt erst recht!

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

BERLIN ."Jetzt erst recht!" heißt die Parole der linken und pazifistischen Grünen, die sich auf dem Bundesparteitag gegen die "Fischer-Linie" nicht durchsetzen konnten.Die innerparteiliche Opposition um Christian Ströbele, dessen Antrag auf einen unbefristeten Stopp der Natoangriffe keine Mehrheit fand, will den Grünen-Landesverband vorläufig nicht verlassen.Abgeordnete wie Barbara Oesterheld und Ida Schillen gelten zwar als "Wackelkandidaten", aber Schillen sagte gestern dem Tagesspiegel: "Ich trete auf keinen Fall aus, so leicht mache ich das denen nicht!"

Etwa 40 Berliner Grüne, darunter die "Fundi"-Abgeordnete Judith Demba, haben seit Kriegsbeginn am 24.März ihr Parteibuch zurückgegeben.Der Vorstandssprecher Andreas Schulze rechnet nun damit, daß aus dem 3500 Mitglieder starken Landesverband höchstens 30 weitere Parteifreunde austreten werden.Auch die Grünen-Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl, Renate Künast, sieht keine Anzeichen für eine Austrittswelle.Der linke, opponierende Parteiflügel will stattdessen versuchen, sich in Berlin - wie auch in den anderen Landesverbänden - stärker zur Geltung zu bringen und straffer zu organisieren.

"Das grüne Projekt ist seit dem Kriegs-Parteitag endgültig tot, wir müssen ein neues linkes Projekt aufbauen", fordert Ida Schillen.Dabei gehe es zum Beispiel "um die Pointierung anderer Themen, zum Beispiel der sozialen Frage und des Kampfes gegen Nationalismus und Rassismus." Unzufriedene aus der SPD, den Gewerkschaften, Bürgerinitiativen usw.sollten in diese Diskussion einbezogen werden.Läuft das auf die Gründung einer neuen Partei hinaus? Schillen: "Mmmh, nein, jetzt nicht; aber ich kann nicht sagen, was die Zukunft bringt." Am Wochenende treffen sich die "Kriegsgegner", um an neuen Strategien zu basteln.

Wie es mit den Grünen weitergehe, hänge tatsächlich davon ab, was die Parteilinke vorhabe, schätzt Renate Künast ein.Sie bleibt aber optimistisch: Der innerparteiliche Konflikt werde außerordentlich vehement ausgetragen, "aber die Türen sind nicht zugeschlagen, die Grünen sind nicht gespalten." Den heiß umstrittenen Bundesparteitagsbeschluß zum Kosovokrieg verteidigt Künast als "gut dosiert"; die Grünen hätten sich nicht als Handlanger der Bundesregierung bzw.des Außenministers einklopfen lassen.

Am nächsten Mittwoch tagt der Grünen-Landesausschuß mit dem einzigen Tagesordnungspunkt: Nachbereitung der Bundesdelegiertenkonferenz."Da werden wir offen und ehrlich Tacheles reden und überlegen, wie die verschiedenen Strömungen der Partei miteinander umgehen sollten", kündigt Vorstandssprecher Schulze an.Der turbulente Bundesparteitag wird sich möglicherweise auch auf die Komplettierung der Abgeordnetenhaus-Wahlliste auswirken: Die Chancen linker Bewerber dürften steigen, hieß es in Parteikreisen.

Beide Vorstandssprecher, Regina Michalik und Schulze, verteidigten gestern den Bielefelder Beschluß und wiesen auf erfolgreiche Änderungsanträge der Berliner Grünen hin, die dazu beigetragen hätten, "daß Partei und Fraktion auch nach diesem Donnerstag handlungsfähig sind." Kritischeren Stimmen sei dadurch die Zustimmung zum Antrag des Bundesvorstands ermöglicht worden.Ströbele habe "ein respektables Ergebnis" für seinen Antrag erzielt, für die Parteiminderheit tue sich innerparteilich "ein großer Spielraum auf", beschwichtigte Schulze.Aber er hegt keine Illusionen, was das äußere Erscheinungsbild der Grünen betrifft: Die Europawahl am 13.Juni - eine wichtige Testwahl - "wird für uns wahrscheinlich ein schwerer Gang."

Bei den Berliner Grünen glaubt niemand im Traum daran, daß sich das glänzende Europawahlergebnis von 1994 (14,3 Prozent) wiederholen läßt.Dabei hatte man sich ursprünglich vorgenommen, den seit einem Jahr negativen Trend bei allen Landtagswahlen in Berlin umzukehren.

Auch Renate Künast befürchtet bei der Europawahl eine "Abstrafungsaktion" der Wähler und setzt, mangels Alternativen, auf das Prinzip Hoffnung."Es wäre so schön, wenn sich der Krieg bald erledigt und wir uns wieder mit stadtpolitischen Themen und dem Wahlkampf beschäftigen können." Denn am 10.Oktober wird das Abgeordnetenhaus neu gewählt, für die Grünen wäre es ein Desaster, wenn die Nato noch im Frühherbst bombt."Wenn doch, dann gute Nacht", meint die Spitzenkandidatin.

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