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Berlin: Shakespeare konnte nicht dichten

Der Autor und sein Strohmann: Roland Emmerich feierte am Potsdamer Platz die Premiere seinen Literaturthrillers „Anonymus“

In Stratford-upon-Avon glaubt man noch an die Macht des Kinos. In der Geburtsstadt William Shakespeares gibt es ziemlich viele Straßen und Pubs, die seinen Namen tragen, auch eine Statue gehört zum Inventar. Kürzlich waren sie überklebt, verhüllt, unsichtbar – der Protest des Shakespeare Birthplace Trust gegen Roland Emmerichs Film „Anonymus“. In ihm wird die Autorschaft des Meisters für die ihm zugeschriebenen Werke bestritten, und dies, meint der Trust, sei eine Gefahr für den Dichter wie die Nation: Laien könnten der „Verschwörungstheorie“ unbedacht Glauben schenken, doch „Shakespeare ist das Herzstück der kulturellen und historischen DNA Englands, und er ist mit Sicherheit unser berühmtestes Exportgut“, zitiert die Nachrichtenagentur dpa einen Stiftungssprecher, berichtet auch, das sich selbst Prinz Charles für Shakespeare starkmache. Ähnliches hat Emmerich, wenn auch weniger emotional, kürzlich auf der Buchmesse in Frankfurt erlebt: heftige Debatten anlässlich der Präsentation seines neuen Werks, obwohl die Zweifel an Shakespeares Dichtkunst nicht neu sind. Auch Edward de Vere, 17. Earl of Oxford und sehr im Verdacht, der eigentliche Autor zu sein, ist schließlich nicht Emmerichs Erfindung.

Anderswo ist der Film also ein Aufreger, am Potsdamer Platz aber war er am Sonntag zunächst Anlass zur glamourösen Deutschland-Premiere im Cinestar, mit einer ans alte Londoner Globe Theatre erinnernden Kulisse. Vor der posierten Emmerich und gleich vier Darsteller aus seinem Elisabethanischen Theaterthriller: Rhys Ifans, spätestens seit seinem Auftritt als Hugh Grants schräger Kumpel in „Notting Hill“ ein Star, diesmal als der schreibfreudige Earl of Oxford die Hauptperson, Jamie Campbell Bower in derselben Rolle als junger Mann, Sebastian Armesto als Dichter Ben Jonson und Joely Richardson als junge Königin Elisabeth I. Ihre Mutter Vanessa Redgrave, die die alte Queen spielt, sollte auch kommen, musste gestern Abend dann aber doch auf der Bühne stehen.

War er’s nun oder war er’s nicht? Hat Shakespeare seine Werke wirklich geschrieben, oder stammen sie nur „von einem anderen Dichter gleichen Namens“, wie Mark Twain vermutete. Oder tatsächlich von Edward de Vere, der immerhin im Wappen einen Ritter zeigt, der einen Speer schüttelt („shakes a spear“)? Ein noch nicht sehr überzeugendes Detail eines Beweises, doch gibt es noch mehr, so viele, dass es Joely Richardson „möglich“ erscheint, und Emmerich der Earl als die „plausibelste“ Variante der These erscheint, nicht Shakespeare habe die Shakespeare-Werke geschaffen. Beweisen kann und will er es mit seinem Film natürlich nicht.

Die wichtigsten Einwände gegen Shakespeare erfährt der Zuschauer gleich zu Beginn. Die Geschichte ist eingebettet in eine kleine Rahmenhandlung: Epilog und Prolog, eine Theateraufführung mit einem Erzähler, der die Argumente gegen Shakespeare zusammenfasst, hinleitet zu der neuen, der ganz anderen Geschichte. Ein kleiner Trick, um den Zuschauer in die Gedankenwelt von „Anonymus“ zu führen, erklärte Emmerich am Nachmittag einer kleinen Journalistenrunde im Adlon. Zuvor habe er beim Versenden des Drehbuchs die Fakten immer hinten anheften müssen. Solch ein Erzähler dagegen sei ein Mittel, das auch Brecht oft eingesetzt habe – und Shakespeare.

Im Urdrehbuch von John Orloff hat nur die Frage der Autorenschaft im Mittelpunkt gestanden, auf Emmerichs Vorschlag gab er der Geschichte einen politischen Rahmen von Verrat, Intrige, Kampf um die Macht. „Bei den meisten Dramen Shakespeares geht es doch um die Frage: Wer wird der nächste König?“, sagt Emmerich. In „Anonymus“ werden so die Dichter, der angebliche und der wahre, zu Figuren im Schachspiel der Macht.

Gedreht hatte Emmerich Mitte 2010 im Studio Babelsberg, die Kulissen waren dort erst vor einigen Wochen verschwunden. Das Panorama des alten London war nach Architekturstudien am Computer entstanden, den für den Stoff zentralen Theaterbau hatte Emmerich am Rande Potsdams errichten lassen, eine Kulisse, die das Rose Theatre, nach einigen Umbauten auch das Globe Theatre darstellte. Die Berliner Theatergruppe Shakespeare Company hatte auf den Bau für eigene Aufführungen gehofft, war aber doch nicht in der Lage, einen passenden Ort zu finden. Es dürfte auch schwer sein, eine Baugenehmigung zu erhalten, die Vorschriften für Kulissenbau seien doch anders als für ein festes Bauwerk, gab Emmerich gestern zu bedenken. Er hatte die Kulisse der Truppe sogar geschenkt. Mittlerweile ist sie abgebaut und teilweise auf dem Studiogelände eingelagert worden. Der nächste Shakespeare kommt bestimmt.

 Andreas Conrad

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