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Berlin: „Sie handeln aus tiefer Verzweiflung“

Warum bewahren Mütter ihre getöten Kinder auf? Kriminalexperte Egg über aktuelle Familiendramen

Herr Egg, was kann Mütter zu solchen Taten wie in Charlottenburg, Brieskow-Finkenheerd oder Schönefeld bringen?

Natürlich gibt es Menschen, die an einer schweren psychischen Wahnkrankheit leiden. Aber in den meisten tragisch endenden Fällen sind Frauen in ungewollte Schwangerschaften geraten. Diese werden zunächst verdrängt und gar nicht angenommen. Ist das Neugeborene dann da, befinden sie sich in einer verzweifelten Lage und wissen keinen Ausweg. Das trifft auch auf reifere Frauen zu, die dann mitunter auch mehrmals hintereinander töten. Es geschieht aus einer tiefen inneren Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit heraus.

Ist diesen Frauen denn zu helfen?

Alle Menschen sollten mindestens eine Vertrauensperson besitzen, mit der sie alles besprechen können. Das gilt für Frauen und Männer gleichermaßen. Die Freundin oder der Freund können dann frühzeitig eingreifen, da sich solch ein tragisches Schicksal Schicht für Schicht aufbaut. Der aktuelle Fall im Berliner Stadtteil Charlottenburg ist schon ziemlich tragisch, weil hier eine Frau offenbar gleich fünfmal schwanger wurde.

Können denn öffentliche, kirchliche oder andere Beratungsstellen etwas ausrichten?

Es gibt viele Menschen, die hier wirklich Rat und Hilfe finden. Aber eine große Zahl findet entweder den Weg dorthin gar nicht – oder sie finden dort nicht das, was sie gesucht haben.

Warum nicht?

Viele Menschen in psychisch zugespitzten Situationen scheuen sich, gegenüber fremden Personen offen zu sprechen. Sie haben kein Vertrauen in die Berater und fürchten sich davor, dass der eigene Partner nach dem Gespräch doch etwas von den Problemen erfahren könnte und verschließen sich völlig. Dann stehen sie vor einer Wand und können den Konflikt allein nicht lösen. Wenn alle Säulen des Lebens zusammenfallen, bleibt oft nur der Suizid. Manche Menschen wollen sich einfach nicht helfen lassen.

Was müsste sich ändern?

Kindstötungen und Suizide sind in unserer Gesellschaft ein oft tabuisiertes Thema. In Deutschland gibt es aber ein Vielfaches an Selbsttötungen im Vergleich zu Tötungen anderer Personen, also Mord und Totschlag. Aber das wird selten diskutiert. Man muss sich schon die Frage stellen, warum diese verzweifelten Menschen keinen anderen finden und allein bleiben. Selbst unmittelbare Nachbarn zeigen sich vom tragischen Geschehen oft völlig überrascht.

Wieso bewahren die Frauen die Leichenteile ihrer Kinder in den Wohnungen auf?

Aus kriminalpsychologischer Sicht ist diese Art der Aufbewahrung eine symbolische Wiedergutmachungsform. Die Frauen glauben, dass die Kinder nur schlafen würden und sie sich nicht direkt um sie kümmern könnten. Dabei wissen sie natürlich, dass ihre Handlung strafbar war.

Warum nimmt eine Frau wie jüngst in Schönefeld ihre drei Kinder mit in den Flammentod?

Bei diesem erweiterten Suizid handelt es sich um eine besondere oder sogar verdrehte Form des Mitleides. Die Frauen glauben, dass die Kinder ohne sie nicht weiterleben können. Sie selbst sehen keinen Sinn mehr im Leben und nehmen die Kinder sozusagen gnädigerweise mit in den Tod.

Gibt es Unterschiede zwischen Frauen und Männern?

Männer töten in der Regel ältere Kinder. Sie wollen ihre Ruhe und verlieren die Nerven. Manchmal töten sie sich und die Kinder aber auch als Rache an der Lebenspartnerin.

Das Gespräch

führte Claus-Dieter Steyer.

Rudolf Egg (61)

ist seit 1997 Direktor der Kriminologischen Zentralstelle

und seit 2004

Vorstandsvorsitzender der Stiftung

Deutsches Forum für Kriminalprävention.

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