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Berlin: Sie wollen’s wieder wissen

Bringt das neue Jahr Heilmittel gegen die Volkskrankheiten? Rheuma, Krebs, Diabetes, Depression und Alzheimer – Folgendes haben führende Mediziner und Forscher sich vorgenommen. Über Ideen, Hoffnungen und Erfolge

ALZHEIMER

Kann Seefisch das Gehirn schützen?

Es ist nur ein Bruchstück, ein winziges Stückchen Eiweiß. Es heißt Amyloid-Beta, und „im Lauf des Lebens sammelt es sich in jedem menschlichen Gehirn an“, sagt der Biologe Tobias Hartmann, 42. Und doch macht dieses winzige Stückchen Eiweiß vielen Menschen große Angst. Denn wenn es verklumpt und sich im Gehirn festsetzt, dann gehen wichtige Nervenzellen zugrunde – und der Mensch kann an Alzheimer erkranken. So viel ist schon lange bekannt über Alzheimer. Aber was könnte man anfangen mit diesem Wissen?

Hartmann und seine Mitstreiter vom Zentrum für Molekulare Biologie in Heidelberg (ZMBH) haben sich nun gefragt, warum es diese Eiweißbruchstücke im Gehirn überhaupt gibt – für welche Aufgabe der Körper sie ursprünglich vorgesehen hat. Im gerade vergangenen Jahr wurden sie fündig und konnten ihre Ergebnisse in der Zeitschrift „Nature Cell Biology“ veröffentlichen. „Amyloid-Beta hat eine Funktion beim Fettstoffwechsel im Gehirn, es regelt dort den Cholesterinhaushalt“, erklärt der Biologe. Es wird also vor allem gebraucht, wenn viel Cholesterin anfällt.

Damit haben die Forscher gleichzeitig die Erklärung für eine andere Entdeckung: Sie hatten Meerschweinchen cholesterinsenkende Medikamente gegeben und festgestellt, dass die Versuchstiere daraufhin weniger schädliche Eiweiße, weniger Amyloid-Beta bildeten. Dann gaben die Forscher auch Alzheimer-Patienten cholesterinsenkende Mittel – mit dem Ergebnis, dass die Patienten weniger Eiweißbruchstücke bildeten und sich zumindest im Alzheimer-Anfangsstadium die geistige Leistungsfähigkeit leicht besserte.

Hartmann und seine Arbeitsgruppe interessieren sich nun auch für Möglichkeiten, mit der Ernährung in die Cholesterinregulation und damit in die Bildung von Amyloid-Beta einzugreifen. Von besonderem Interesse sind die Omega-3-Fettsäuren, besonders die so genannte Docosahexansäure (DHA), die vor allem in Seefisch reichlich vorkommt und die in der Lage ist, den Cholesterinspiegel zu senken. „Nachdem Versuche an Mäusen erfolgreich waren, wollen wir jetzt versuchsweise eine Kombination aus Omega-3-Fettsäuren und Medikamenten bei solchen Menschen einsetzen, die aufgrund der Veränderung eines Gens ein erhöhtes Risiko tragen, schon früh an Alzheimer zu erkranken.“

Es wird spannend, ob sich aus diesen Forschungen eine allgemeine Ernährungsempfehlung für die Vorbeugung gegen Alzheimer wird ableiten lassen. „Immerhin beginnen die Veränderungen im Gehirn 20 bis 30 Jahre, bevor die ersten Symptome der Krankheit auftreten“, gibt Hartmann zu bedenken.

DEPRESSION

Gibt’s bald maßgeschneiderte Hormon-Therapien?

„Wir haben zwar heute schon wirkungsvolle Behandlungen, aber die letzte Ursache von Depressionen kennen wir noch nicht“, sagt Psychiatrie-Professorin Isabella Heuser, 48, Leiterin der Klinik für Psychiatrie an der Charité Campus Benjamin Franklin. Man weiß allerdings, dass Depressionen meist von belastenden Lebenssituationen ausgelöst werden und dass sie unter allen stressbezogenen Störungen die mit Abstand häufigsten sind: Drei Millionen Menschen gibt es in Deutschland, die deswegen in Behandlung sind oder eigentlich eine Therapie brauchen würden.

„Es lag also nahe, sich zu fragen, was bei Belastungen eigentlich im Körper passiert“, sagt Isabella Heuser. Tatsächlich schnellen dann die Level körpereigener Stresshormone in die Höhe. Kann man Depressionen behandeln, indem man Gegenspieler dieser Hormone ins Feld führt? Das wird jetzt in einer großen Studie getestet, an der mehrere Kliniken und mehr als 2000 Patienten teilnehmen. Sie bekommen entweder ein Antidepressivum oder einen Gegenspieler des Stresshormons Cortisol.

„Wenn das Konzept aufgeht, steht uns die erste Therapie zur Verfügung, die wirklich bei der Entstehung der Krankheit ansetzt“, betont Heuser. „Stresshormone sind auch deshalb ein interessanter Ansatzpunkt, weil sie im Alter vermehrt ausgeschüttet werden.“ Bei jüngeren Depressiven finde man typischerweise die Hormonlevel älterer Gesunder. Ist Depression also so etwas wie frühzeitiges Altern?

Schon länger interessiert die Wissenschaftlerin sich umgekehrt auch dafür, wie es manchen Menschen gelingt, die Stresshormone zeitlebens auf einem niedrigeren Level zu halten. Möglicherweise kommt hier auch die Genetik ins Spiel. „Wir haben inzwischen bei 360 Menschen genetische Muster untersucht und die jeweiligen Veränderungen bestimmt“, sagt Heuser. Es ist noch eine Zukunftsvision, aber irgendwann, hofft sie, wird man daraus maßgeschneiderte Therapien mit „typgerechten“ Medikamenten und Psychotherapien entwickeln.

DIABETES

Welche Ernährung hilft am besten beim Abnehmen – und damit gegen Diabetes?

Diabetes – das sind eigentlich zwei Krankheiten. Diabetes vom Typ I ist selten und eine Mangelkrankheit: Die Bauchspeicheldrüse produziert nicht genug Insulin, es fehlt also das Hormon, das gebraucht wird, um den Zucker zu verarbeiten, der aus der Nahrung ins Blut gelangt. Diabetes vom Typ II ist dagegen häufig, und er ist eine typische Krankheit der Überflussgesellschaft. Acht von hundert Menschen sollen inzwischen auf aller Welt davon betroffen sein. Das Risiko, diesen „Altersdiabetes“ zu bekommen, ist für Übergewichtige um ein Vielfaches höher als für Schlanke. Bei einem Body Mass Index (BMI, errechnet als Gewicht in Kilo geteilt durch Körpergröße in Metern im Quadrat) von über 35 ist es etwa 40 Mal höher als bei einem BMI von 21. Das Insulin, das der Körper bildet, ist bei dieser Form der Zuckerkrankheit nicht wirksam genug. Der Zucker, der sich im Blut anreichert, ist eine Gefahr für die Blutgefäße.

Weil der Insulinmangel beim Diabetes Typ II nur relativ ist, muss längst nicht jeder Insulin spritzen. Wer ein paar Punkte in seinem täglichen Leben verändert, kann möglicherweise ganz ohne oder mit einer niedrigen Dosis auskommen. „Für Diabetespatienten ist besonders eine faserreiche und ballaststoffreiche Ernährung wichtig, in Kombination mit einem hohen Eiweißanteil und wenig Fett“, erläutert der Diabetesexperte Andreas Pfeiffer, 52, der im Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke und an der Charité Campus Benjamin Franklin arbeitet. „Wer sich so ernährt, kann einerseits seine Empfindlichkeit gegenüber Insulin verbessern und andererseits den Insulinbedarf senken, was vor allem die Gewichtskontrolle erleichtert und auch das Abnehmen.“

Konkret hat seine Arbeitsgruppe vor kurzem herausgefunden, dass sich der Blutzuckerspiegel junger, gesunder Testpersonen bei gleich bleibendem Insulinspiegel um 30 Prozent senken ließ, wenn sie täglich 30 Gramm unlösliche Ballaststoffe aus Weizen oder Hafer auf den Speisezettel setzten.

Jetzt soll in einer Studie geprüft werden, wie sich der Eiweißgehalt und der glykämische Index der Nahrung auf den Erfolg beim Abnehmen auswirken. Der glykämische Index teilt Lebensmittel, die vorwiegend Kohlenhydrate, also im Endeffekt Zuckerverbindungen enthalten (Nudeln, Brot, Reis, Kartoffeln usw.), nach ihrer Auswirkung auf die Insulinausschüttung ein. Im September wird zu dieser Frage eine große EU-finanzierte Studie mit dem schönen Namen „Diogenes“ (für „Diet, Obesity and Genes“) starten, in der Familien mit mehreren übergewichtigen Mitgliedern untersucht werden. Weil beide Eltern und mindestens ein Kind adipös sind, vermuten die Forscher bei ihnen eine genetische Ursache.

Die 1250 erwachsenen Studienteilnehmer müssen zunächst acht Prozent ihres Körpergewichts abnehmen und werden dann per Los einer von vier Diätgruppen zugeteilt: eiweißreich oder eiweißarm, zusammen mit hohem oder niedrigem glykämischem Index. Die Forscher wollen so herausfinden, welche Art der Ernährung am wirkungsvollsten hilft, das Gewicht zu stabilisieren – und damit das Ausbrechen der Zuckerkrankheit zu verhindern. „Zwar vermuten wir, dass Nahrungsmittel mit niedrigem glykämischem Index und hohem Eiweißanteil die Gewichtszunahme besser verhindern. Die Belege stammen aber bisher aus Tierversuchen“, erläutert Pfeiffer.

KREBS

Kann man Tumoren einfach aushungern?

Krebs vom Wachsen abhalten, indem man ihm die Blutzufuhr abschneidet: Dieser Gedanke ist bestechend. Erstmals hat ihn der Krebsforscher Judah Folkman von der Havard Medical School vor etwa 30 Jahren aufgebracht. Angiogenese-Hemmung heißt das Zauberwort: Verhinderung des Aussprossens neuer Blutgefäße, die die schnell wachsenden Zellgebilde für ihre Versorgung dringend brauchen.

Die Forschung ist inzwischen sehr konkret, sie spielt sich nicht mehr in den Labors, sondern schon in den Kliniken ab. Der Internist und Krebsspezialist Albrecht Kretzschmar, 42, prüft in der Robert-Rössle-Klinik der Charité das gentechnisch erzeugte Eiweißmolekül Bevacizumab. Der Antikörper wirkt gegen das wachstumsfördernde Eiweiß VEGF, ohne das das Programm zur Neubildung von Blutgefäßen nicht abläuft. Wenn Bevacizumab sich an es anheftet, soll er außer Gefecht gesetzt werden. Dass der Antikörper wirkt, wenn der Darmkrebs schon Metastasen gebildet hat, ist bereits nachgewiesen. Nun soll in einer internationalen Studie geprüft werden, ob Bevacizumab auch dann die Chancen auf dauerhafte Heilung erhöht, wenn das Mittel vorsorglich gleich nach der Operation zusammen mit Chemotherapie gegeben wird.

Klinische Studien, die die letzte Hürde vor der Zulassung eines Medikaments bilden, sind allerdings Großprojekte. 3540 genau zur Fragestellung passende Patienten müssen mitmachen. „Bis Ende 2006 hoffen wir genug Teilnehmer zu haben, bis spätestens 2010 sollten die Ergebnisse vorliegen“, sagt Kretzschmar.

RHEUMA

Kann man die Rheuma-Erreger aus dem Blut herauswaschen?

Etwa 1,5 Millionen Deutsche leiden unter entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Ihr Immunsystem greift körpereigenes Gewebe an, im Fall der rheumatoiden Arthritis ist davon die Auspolsterung der Gelenke betroffen. Heute kann man mit Medikamenten die Schmerzen lindern, die Entzündungen der Gelenke behandeln und das Immunsystem in Schach halten. Heilbar ist die Krankheit aber noch nicht, die Medikamente haben zudem Nebenwirkungen. Doch man weiß inzwischen mehr über die Biologie der Zellen des Immunsystems, die die selbstzerstörerischen Antikörper bilden. Und aus diesem Wissen könnte sich eine schlagkräftige Therapie ergeben.

„Bei den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen spielen die so genannten B-Lymphozyten eine ganz zentrale Rolle“, erklärt Falk Hiepe, 52 , Leitender Oberarzt an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische Immunologie der Charité Campus Mitte. B-Lymphozyten sind Bestandteile der weißen Blutkörperchen. Im menschlichen Immunsystem spielen sie eine wichtige Rolle, weil sie die Vorläufer von Antikörpern sind. Antikörper werden normalerweise gezielt gegen Krankheitserreger gebildet. Bei Rheumapatienten attackieren sie als so genannte Autoantikörper jedoch eigenes Gewebe.

Hiepe und seine Arbeitsgruppe haben im letzten Jahr eine mögliche Erklärung dafür präsentiert, warum die herkömmlichen Rheumamittel bei vielen Patienten nicht wirken: Die Zellen, die die Endstufe der Entwicklung der B-Lymphozyten bilden, sind teilweise sehr langlebig, sie überleben Monate und Jahre im Knochenmark und in den entzündeten Geweben. Herkömmliche Rheumamittel erreichen aber nur weniger zähe Zellen. „Es könnte sein, dass die Krankheit deshalb immer wiederkommt“, sagt Hiepe. Wenn das stimmt, kommt es darauf an, diese schädlichen Zellen aus dem Blut zu entfernen.

Bei sieben schwerkranken Patienten mit Lupus erythematodes – ebenfalls einer Autoimmunkrankheit –, bei denen keine Therapie anschlug, wurde in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Rheumaforschungszentrum und Krebsspezialisten der Charité deshalb etwas gewagt, was es in ähnlicher Form in der Behandlung von Blutkrebs (Leukämie) schon gibt: Das Immunsystem wurde mit Zellgiften „heruntergefahren“, anschließend wurden körpereigene Blutstammzellen transplantiert, um es vollständig neu aufzubauen. „Wir hoffen, dass sich das Immunsystem dadurch wieder normalisiert“, erklärt Hiepe.

Jetzt sollen in einer größeren Studie, an der sich auch andere deutsche Kliniken beteiligen, mehr Erfahrungen mit dieser Methode gesammelt werden. Hiepe hofft, dass sie Rheuma eines Tages heilbar macht. „Unsere Zukunftsvision ist, ganz gezielt und schonend nur die Zellen herauszunehmen, die für die Autoimmunreaktion zuständig sind. Und vielleicht können wir den Patienten eines Tages mit ihren Stammzellen zusammen noch weitere ‚gute’, schützende Zellen zurückgeben.“

Adelheid Müller-Lissner

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