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Simon-Dach-Kiez: "Verbrechen, wenn Menschen vertrieben werden“

Nach der Randale in Friedrichshain: Polizei in Alarmbereitschaft, Stadtplaner in Erklärungszwang. Die Anwohner wollen ihr Milieu bewahren und sehen eine Sanierung kritisch.

In einem Café in der Grünberger Straße, mitten im Friedrichshainer Sanierungsgebiet, ist am Montag alles ruhig. An der Theke sitzt der Betreiber und unterhält sich mit einem Gast. „Ich bin gegen Gentrifizierung“, sagt er. Zum Glück habe es in Friedrichshain noch keine komplette Umwälzung gegeben wie in Prenzlauer Berg. „Hier gibt es noch andere Milieus.“ Fremd sind nach seiner Meinung nur die Touristen. Dennoch findet er Kundgebungen wie die am Sonnabend gut und wichtig. Die vorherrschende Mischung an Leuten in der Gegend müsse erhalten bleiben. Ein großes Problem sieht er darin, dass der Senat viele landeseigene Wohnungen verkauft habe und so ungedeckelten Mieterhöhungen freien Lauf lasse.

Am Sonnabend hatten Randalierer am Rande einer „Freiräume“-Demonstration, die vom Neuköllner Hermannplatz bis nach Friedrichshain führte, in der nahen Simon-Dach-Straße die Scheiben von dutzenden Autos zerstört und in vier Lokalen Buttersäure verschüttet. Begründet wurden die Anschläge mit dem Vorwurf, im Sanierungsgebiet Warschauer Straße, in das auch die Simon-Dach-Straße fällt, werde die sogenannte Gentrifzierung vorangetrieben. Durch die Sanierung der Altbauwohnungen und damit verbundene Mieterhöhungen würden die jetzigen Bewohner vertrieben.

Doch Alteingesessene sind in der Gegend um den Boxhagener Platz ohnehin rar. Das Straßenbild ist von jungen Menschen geprägt. Jesse Pluntke, eine junge Mutter, wohnt im Kiez. Sie kritisiert, dass es in Friedrichshain kaum noch bezahlbare Wohnungen für junge Familien gebe. Sie selbst suche eine Drei- bis Vierraumwohnung, da sehe es schlecht aus. Zudem sieht sie weitere Fehler der Sanierung: Schulen seien zu Wohnungen umgewandelt worden, obwohl der Bedarf an Schulen weiter bestehe. „Außerdem fehlen hier kinderfreundliche Cafés und Kinderläden“, sagt die 27-Jährige. Normal finde sie zwar, dass sich das Viertel verjünge. „Wenn aber ältere Menschen durch Mieterhöhungen hinausgedrängt werden, finde ich das fast verbrecherisch.“

An einem Kiosk in der Boxhagener Straße steht ein älterer Herr. Er wohnt bereits seit 60 Jahren in Friedrichshain, allerdings in der Petersburger Straße, außerhalb des Sanierungsgebiets. „Wir sind zum Glück nicht betroffen“, sagt der 77-Jährige. Die Sanierung sei prinzipiell nicht schlecht, helfe aber nur denen, die Geld hätten. „Ein normaler Bürger kann sich eine sanierte Wohnung gar nicht mehr leisten.“ Da gehe es nur ums Geld.

Das sieht Franz Schulz (Grüne), Bezirkbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, anders. Grundlage, dass ein Gebiet zum Sanierungsgebiet erklärt werde, seien bauliche Missstände an Häusern und Wohnungen, die durch geeignete Maßnahmen beseitigt werden müssten. Weitere Sanierungsziele seien Verbesserungen im öffentlichen Raum, also Grünanlagen und Freiflächen. Drittens werde die Infrastruktur der Gebiete wie Kindergärten, Kitas und Schulen verbessert.

„Bei der Sanierung spielen soziale Ziele eine wichtige Rolle“, fügt Schulz hinzu. Es solle verhindert werden, dass sich die Bevölkerungsstruktur ändere. Ein großes Problem sieht aber auch er: „Die Mieterhöhung führt zur Vertreibung der Erwerbsschwachen aus den Altbaugebieten.“ Schuld sei nicht an sich die Sanierung, sondern die Tatsache, dass Vermietern bei Neuvermietung preislich keine Grenzen gesetzt seien. Berlin müsse mit einer Bundesratsinitiative für eine Änderung der Gesetzgebung kämpfen. Florian Ernst

Florian Ernst

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