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Immer an der Kante. Die Freiflächen vor der Philharmonie und dem Kulturforum am Potsdamer Platz sind bei den Skatern besonders beliebt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Skater in Berlin: Sie wollen doch nur rollen

In die Halfpipe? Uncool! Skater bleiben am liebsten auf der Straße. Am Kulturforum hat man sich damit inzwischen arrangiert. Das Museum weiß: Hier ist einer der beliebtesten Skateplätze der Welt.

Der blonde Kalifornier hebt sein Skateboard an der Spitze an, in voller Fahrt, und fliegt über sieben ziemlich breite Stufen. In der Luft dreht er sich einmal um die eigene Achse, das Board fest im Griff. Der Sprung dauert eine gefühlte Minute. Kaum ist er gelandet, setzt er zum Sprung über die Stufen an, ein junger, langhaariger Spanier. Ein paar Umstehende klatschen.

Es sind nicht irgendwelche Stufen, über die die Jungs springen. Sie heißen „Double Set“, denn sie verteilen sich auf zwei kleine Treppen, à drei und vier Stufen. Und sie liegen auf dem Platz vor dem Kulturforum, der in der Szenesprache nur „Die Baustelle“ heißt. Er ist Legende seit der Jahrtausendwende, als das Kulturforum und die ganze Gegend um den Potsdamer Platz noch eine riesige Baustelle waren. Und ein Paradies für Skater. Trotz der Bebauung ist es der Platz heute immer noch.

Christoph „Willow“ Wildgrube, 30, steht gerade neben diesen beiden Treppen, ein Board unterm rechten Fuß. „Yeah“, ruft er dem Kalifornier zu, als der sich zum zweiten Mal in der Luft dreht. Willow ist einer von denen, die die Stufen weltbekannt gemacht haben. Im Jahr 2000 sprang er als einer der ersten drüber, dabei drehte er sich in der Luft wie der Kalifornier. Oder er wirbelte während des Sprungs das Board unter seinen Füßen herum. Oder er rutschte mit dem hinteren Teil des Boards über das Steingeländer am Rand der Stufen. Damals hörte ein Fotograf des Szenemagazins „Monster“ von den verrückten Berlinern auf der Baustelle und setzte sich ins Auto. Er fotografierte und filmte – und Jungs und Treppe wurden in der deutschen Szene berühmt. Ein paar Jahre später kamen Profis aus den USA, mitsamt Fotografen, und die Welt erfuhr von der „Baustelle“.

„Seit so viele Skater kommen, gibt’s leider auch mehr Aufpasser“, erzählt Willow. Offiziell ist sein Sport auf allen öffentlichen Plätzen und Straßen erlaubt, so lange sich die Skater an die Straßenverkehrsordnung halten. Auf Privatgelände entscheidet der Eigentümer, ob er die rollenden Gäste duldet.

Denny Pham ist extra aus Rostock nach Berlin gezogen, um mit dem Sport sein Geld zu verdienen.
Denny Pham ist extra aus Rostock nach Berlin gezogen, um mit dem Sport sein Geld zu verdienen.

© Promo

Auf dem Platz vor dem Kulturforum vollführen die Jungs gerade nur deshalb so ungestört mitten am Tage ihre Tricks, weil ein Getränkehersteller dort einen offiziellen Wettbewerb austrägt und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zu der das Kulturforum gehört, den Raum zur Verfügung gestellt hat. Tatsächlich scheint der Platz wie zum Skaten gemacht, das Double Set mit dem breiten Steingeländer, der glatt gepflasterte, leicht abfallende Platz, der nach rund 50 Metern in eine kompakte Treppe mit acht Stufen übergeht.

„Wir sind uns bewusst, dass der Platz ein internationaler Hotspot der Szene ist“, sagt ein Mitarbeiter der Besucherdienste der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Auch deshalb habe die Stiftung den Wettbewerb unterstützt. „Wir schätzen den Sport. Allerdings passt er nicht so gut zu den Museumsbesuchern.“ Derzeit wird in der Stiftung diskutiert, ob man offizielle Regeln aufstellen soll. Momentan werden die Skater außerhalb der Museumsöffnungszeiten geduldet. Der Mitarbeiter der Besucherdienste spricht von einer friedlichen Koexistenz. Dass das Wachpersonal die Skater in den vergangenen Jahren auch schon mal nach Museumsschluss vom Platz jagte, lag wohl an schlechten Erfahrungen: Einmal ging eine Eingangstür zu Bruch.

Die „Baustelle“ ist trotzdem immer der beliebteste Spot der Stadt geblieben. Ein 15-Jähriger, der gerade den Profis an der Treppe zusieht, erklärt, das Double Set sei sein großes Ziel. Fast an jedem Wochenende kommt er hierher, reist extra aus Frankfurt (Oder) an.

Auch Willow ist wegen des Wettbewerbs gekommen. Seit sieben Jahren lebt er in Köln, dort, wo „Monster“ und andere Szenemagazine sitzen. Er hat Berlin verlassen, weil die Fotografen der einschlägigen Magazine in der Stadt nur selten vorbeischauten. Willows Ziel war es, vom Skaten zu leben – und entdeckt zu werden. Das ist ihm in Köln gelungen. Er ernährt nicht nur sich, sondern auch seine Familie mit dem Sport, hat mehrere Sponsoren.

Heute ziehen Skater nach Berlin, um entdeckt zu werden. Zum Beispiel Denny Pham. Vor zweieinhalb Jahren kam der 23-Jährige aus Rostock. Schon seit acht Jahren skatet er in Berlin, 2007 schaffte er das erste Mal das „Double Set“. Mittlerweile reicht auch ihm der Sport zum Leben. Wenn er nicht auf der „Baustelle“ ist, skatet er mit seinen Freunden am liebsten auf dem Mittelstreifen der Warschauer Straße, „die Bänke dort sind optimal“, am polnischen Denkmal in Prenzlauer Berg, „der glatte Boden da ist perfekt für flache Tricks“ oder auf irgendeiner Baustelle.

Und was ist mit den Skateparks am Gleisdreieck oder am Tempelhofer Feld, die die Stadt für viel Geld errichtet? „Die Straße ist die größere Herausforderung, dort verändern sich die Bedingungen“, sagt Denny Pham. „Außerdem ist der Sport auf der Straße entstanden, da gehört er auch hin.“ Willow nickt energisch: „Es ist einfach nicht so cool, in Parks zu skaten“, sagt er, „und auf den Fotos sieht das nicht gut aus.“ Den Park am Tempelhofer Feld mag Willow aber doch, vor allem wegen des Granitbodens aus dem Palast der Republik. Ein Architekt hat den Park in Zusammenarbeit mit Berlinern Skatern entwickelt, viele von ihnen nutzen ihn dennoch nicht. Willow ist am liebsten bei den Klassiker um den Potsdamer Platz unterwegs, vor der Philharmonie und auf der „Baustelle“.

Auch der junge Skater aus Frankfurt an der Oder geht nur selten in Parks. Wenn er sich nicht auf der „Baustelle“ ausprobiert, fährt er am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park. Auch das ist fester Bestandteil der Berliner Skaterkultur. Schon in der DDR fuhren hier Jugendliche, auf meist selbstgebastelten Rollbrettern. Das eigentliche Mekka in Ostberlin war damals aber der Alexanderplatz. Heute sind dort zu viele Touristen unterwegs und deshalb auch zu viele Aufpasser. Die Jungs, die im Sozialismus skateten, waren übrigens so berühmt, dass die damals weltbesten Profis aus Kalifornien heimlich einreisten, um sie auf dem Alex zu sehen. Die Geschichte der DDR-Skater erzählt der Film „This ain’t California“.

Mittlerweile ist Berlin ganz offiziell eine der Skateboardermetropolen der Welt, das sagen auch die ausländischen Teilnehmer am Wettbewerb auf der „Baustelle“. Denny Pham glaubt, Berlin sei so beliebt, „weil es so viele moderne Plätze und Baustellen gibt wie kaum woanders“. Willow hat noch eine andere Erklärung für den Boom: „Seit vor fünf Jahren die Szenemesse Bright nach Berlin kam, haben die Magazine hier dauerhaft ihre Leute und die Marken ihre Scouts.“

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