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Berlin: Soll die Strafe gegen Krenz und Konsorten gemildert werden? Der Gnadenausschuss ist zerstritten

Krenz und Schabowski gehören nicht zu den Hardlinern der DDR-Machthaber. Strafe oder nicht - die Meinungen lassen sich nicht an der Parteimitgliedschaft festmachenA.

Krenz und Schabowski gehören nicht zu den Hardlinern der DDR-Machthaber. Strafe oder nicht - die Meinungen lassen sich nicht an der Parteimitgliedschaft festmachenA. Bahr und H. Toeppen

Auch in der Berliner Politik gehen die Meinungen über eine Begnadigung der verurteilten Politbüromitglieder weit auseinander. "Viel zu früh, darüber nachzudenken", sagte gestern der CDU-Generalsekretär Volker Liepelt zum Tagesspiegel. "In diesem Fall sollte man Erbarmen vor Recht walten lassen", urteilt die SPD-Kulturpolitikerin Irana Rusta. Dagegen sagt die SPD-Rechtsexpertin Kirsten Flesch: "Die Herrschaften sollen erst einmal ihre Haft antreten, bevor man über Gnade redet." Die Meinungen im Abgeordnetenhaus sind für Krenz, Schabowski und Kleiber wichtig, denn bei Strafen über zwei Jahren muss der vom Parlament gewählte Gnadenausschuss angehört werden.

Leute wie Krenz oder Schabowski hätten in der Endphase der DDR nicht zu den "Falken", sondern zu denen gehört, die einen friedlichen Übergang mit ermöglichten. Man müsse in der "historisch-politischen Verantwortung" differenzieren, sagte Rusta: "Die wirklichen Bösewichter kommen eher aus der stalinistischen Zeit. Auch darf nicht vergessen werden, dass jemand wie Mischa Wolf frei herum läuft." Falls die Verurteilten ihre Haftstrafen anträten, bestünde die Gefahr, dass sie vor der Geschichte in eine Märtyrerrolle schlüpften.

Für die Fraktionsvorsitzende der PDS, Carola Freundl, ist die Debatte über eine mögliche Begnadigung legitim geworden, weil sie von den politischen Vertretern der Opfer des DDR-Regimes angestoßen worden sei. "In meiner Einschätzung berufe ich mich auf die Aussagen von Vera Lengsfeld, die argumentiert, dass die Festsetzung des Strafmaßes entscheidend war, nicht aber der Haftantritt", so Freundl. Für sie, Freundl, habe das Urteil in erster Linie einen moralischen Verhaltenskodex "für alle Deutschen" zum Ergebnis gehabt. Ob die Verurteilten nun ihre Haftstrafe anträten oder nicht, sei nicht entscheidend. "Die politische Verantwortung bleibt", so Freundl.

Entschieden gegen eine Begnadigung sprechen sich hingegen die Grünen aus. Die Abgeordnete Claudia Hämmerling sieht insbesondere die Rolle von Krenz kritisch. "Der war nun wirklich nicht das, was man einen Widerstandskämpfer nennt. Und wenn ich mich an dessen Kommentare zum Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens erinnere, dann läuft es mir noch heute eiskalt den Rücken herunter", so Hämmerling. Auch dürfe nicht vergessen werden, dass fast jeder kleinere Stasi-Spitzel im öffentlichen Dienst seine Arbeit verloren habe und dies in vielen Fällen bis heute nachwirke. "Ich habe den Eindruck, dass einige mit der Gnade schneller sind als andere mit der Reue", meint CDU-Politiker Liepelt. Auf jeden Fall müsse die Meinung der Opferverbände und Bürgerrechtler berücksichtigt werden. Gnade habe nur verdient, wer Reue zeuge. Deshalb würde er auch Schabowski anders beurteilen als Krenz.

Für Verurteilte in Berlin steht das Gnadenrecht nach der Verfassung dem Senat zu, der es für den Regelfall dem Justizsenator überträgt. Bei lebenslangen Freiheitsstrafen,Sicherungsverwahrung, Fällen "von besonderer Bedeutung" oder Strafen von mehr als zwei Jahren muß der fünfköpfige Gnadenausschuß gehört werden. Soll von dessen Stellungnahme abgewichen werden, muß der ganze Senat entscheiden. 1998 sind in Berlin 2333 Gnadengesuche gestellt worden, von denen 980 Freiheitsstrafen betrafen. 17 Prozent wurden positiv entschieden. Das heißt, gut 160 Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Das geschieht vor allem, wenn die Verbüßung der Strafe für die Betreffenden und ihre Familien eine ganz ungewöhnliche Härte bedeuten würde.

Justizsenator Ehrhart Körting (SPD) lehnte gestern jede Stellungnahme zu der Begnadigungsdiskussion ab. Aus der politischen Kriminalität der DDR ist nur ein Präjudiz bekannt. Im vorigen Jahr lehnte Körting es ab, die frühere DDR-Oberrichterin Gerda Klabuhn zu begnadigen. Sie war wegen Rechtsbeugung zu einem Jahr und neun Monate Strafe verurteilt worden und musste diese Strafe auch antreten.

A. Bahr, H. Toeppen

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