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Berlin: Sonne, Keks und Küchenwand

Tagesspiegel und Radio Multikulti zeigen, wie Berliner wohnen. Diesmal: eine WG in Prenzlauer Berg

BERLIN PRIVAT (2)

Wer sagt, dass Homestorys nur interessant sind, wenn Prominente darin die Hauptrolle spielen? Wir nicht. In dieser Serie stellen Radio Multikulti und der Tagesspiegel die Wohnungen der Berliner von nebenan vor. Die Sendung zum Text läuft heute im Radio, und im Internet erlauben die Bewohner einen Blick ins Private.

Auf dem Regal stehen drei Frauenbeine. Die hat Javier von einem Flohmarkt mitgebracht, sie sind aus Plastik und hellbraun. „In Madrid hatte ich ein Zimmer, das war voll mit Trash.“ Das musste aber alles in Spanien bleiben, als der Kunststudent vor vier Jahren nach Deutschland kam, um in einer Marketingfirma zu arbeiten. Sein Zimmer im Prenzlauer Berg ist kaum größer als ein Kiosk. Viel passt nicht rein: Bett, Schreibtisch, ein Regal voller Bücher und Klamotten. Als das größere Zimmer gegenüber frei wurde, wollte Javier trotzdem nicht tauschen. Denn in seinem Kabuff hat er, was ein Spanier in Berlin dringender braucht als anderes: Sonne. „Die scheint bei mir ab 6 Uhr morgens. Das macht mich glücklich und hilft mir beim Aufstehen.“ Also zog Lisa in das freie Zimmer. Die 19-Jährige sitzt auch gerne mal im Dunkeln. Dann fläzt sie sich in ihren 70er-Jahre-Freischwinger und sieht sich Videos an. Zu Schulungszwecken; sie möchte Kamerafrau werden. Den meisten Platz in der 3-Zimmer-Altbauwohnung hat der WG-Älteste Emil, DJ und Gelegenheitsjournalist. Im Augenblick ist er mal wieder bei seiner Freundin in Spanien. Wenn Lisa, die Hessin, erzählt, bekommt der ruhige Javier kaum ein Wort dazwischen. Die Küchenwand sieht aus wie ein riesiges Poesiealbum: Javiers kleine Kunstwerke – Puppenstubenmöbel in viereckigen Holzkästchen –, Schwarzweiß-Fotos, polnisches Kringel-Gebäck und bunte Zettel auf grün-orange gemusterter Art-Deco-Tapete. Auf einem der Zettel steht: „In der Hoffnung, dass sie passt und gefällt. Alles Gute…“ Eines Morgens fand sich der Zettel vor der Wohnungstür, geheftet an eine weiße Cordhose. Javier rätselt bis heute über die Identität des Schenkers. „Wahrscheinlich eine Kurz-Beziehung von mir.“ Zu jedem Detail an der Wand gibt es eine Geschichte. Auch zu dem herzförmigen Stück Papier, das Emils Mutter einem ihrer Päckchen beigelegt hat. „Richtig mütterliche Pakete“, sagt Lisa, „mit Kuchen, Keksen und Chips.“ Lauter Dinge, die dick machen – aber Lisa darf ruhig reinhauen. Mit den schlanken Frauenbeinen auf Javiers Regal kann sie allemal mithalten.

Radio Multikulti (Kabel 91,6 und Antenne 106,8), 8.40 Uhr; Internet www.berlinprivatonline.de

Nina Siegers

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