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SONNTAGS um zehn: Im Schuldwahn

Messe der Jesuiten in Maria Regina Martyrum.

Betonwände, Holzdecke: Grandiose Schlichtheit bestimmt die Gedenkkirche Maria Regina Martyrum im Norden Charlottenburgs. Nichts lenkt ab von dem Gemälde hinter dem Altar, das den Blick zwischen hellen, dunklen und farbigen Flächen auf das Lamm und das Auge Gottes lenkt. Es enthält alles, worum es im Leben und in der Bibel geht: Freude, Trauer, Liebe, Tod – und die Hoffnung auf Gott. Karmeliterinnen und Jesuiten halten hier die Erinnerung an die Menschen wach, die von den Nazis wenige Meter entfernt in Plötzensee hingerichtet wurden.

Von überall in der Stadt kommen Gläubige hierher, heute wohl noch ein paar mehr: Seit Mittwoch sitzt ein Jesuit auf dem Petristuhl. Er und seine Mitbrüder hätten viele Mails von Menschen bekommen, die dazu gratulierten, dass die Jesuiten „Papst sind” sind, sagt Jesuitenpater Tobias Zimmermann, Rektor des Canisius-Kollegs, zu Beginn der Messe. Davon könne keine Rede sein. Wer in den Orden eintrete, gelobe, kein Amt in der Kirche anzustreben. Wer auch nur den Verdacht erwecke, das anders zu sehen, riskiere den Ausschluss. Das sei sicher auch Bergoglio durch den Kopf gegangen, mutmaßt der Pater und fügt an: „Wir können uns freuen über diesen Papst. Franziskus ist ein gutes Programm – auch wenn wir in Europa ein paar Mal werden schlucken müssen.”

Das Thema dieses Sonntags in der Fastenzeit: die Menschen mit ihren Fehlern. Es predigt Jesuitenpater Hans Jürgen Kleist, Mathematiklehrer am Canisius-Kolleg. Ausgangspunkt ist das Gleichnis von Jesus und der Ehebrecherin. Jesus rettet sie, indem er ihre Peiniger zur Selbstkritik auffordert: „Nur wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ Und er sagt: „Auch ich verurteile dich nicht. Gehe hin und sündige nicht mehr.”

Pater Kleist geht das Thema nahe, man merkt es an der energischen Stimme, den Gesten: „Die Gesellschaft lebt von einem Schuldwahn.” Überall werde die Schuld anderer ans Tageslicht gezerrt. Klar, man dürfe nichts vertuschen, doch immer nur auf die anderen zu zeigen, sei schon sehr selbstgerecht. Das gelte auch für die Häme gegen die Kirche – aber auch für die Kirche selbst, die schnell andere verurteile und so tue, als gehe es der Kirche hauptsächlich um die Sexualmoral. Ja, gibt’s denn nichts Wichtigeres? Jesus stelle nicht die Sexualmoral in den Vordergrund, sondern die Heuchelei. Nicht auf einzelne Lehrsätze komme es an, sondern auf das Große und Ganze dahinter. „Es ist eine Häresie, wenn der Glaube an einzelne Sätze mehr gilt als die Hingabe an Gott”, ruft Pater Kleist. „Entrümpelt euer Hirn und schaut auf Jesus: Die Sünde ist kein Grund für die Ablehnung eines Menschen”. Entscheidend sei, dass man Gott liebt und seinen Nächsten wie sich selbst. So einfach ist das und so schwer zugleich. Claudia Keller

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