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SONNTAGS um zehn: Mit Bach und Bibel zurück zum Anfang

Richard von Weizsäcker liest in Dahlem aus der Schöpfungsgeschichte

Einfach nur vorlesen, denkt man, kann ja nicht so schwer sein. Aber die Schöpfungsgeschichte ist nicht irgendein Text. „Ich kenne eigentlich keinen anderen Text in der Bibel, der so schwierig ist“, sagt Richard von Weizsäcker, der frühere Bundespräsident und am gestrigen Sonntag der Vorleser in der Jesus-Christus-Kirche in Dahlem. „Bibel & Bach“ heißt die Reihe, die die Gemeinde in der Hittorfstraße diesen Sommer zum fünften Mal veranstaltet. An sechs Sonntagen bis zum 30. August lesen Prominente die Genesis-Geschichte, immer vier Kapitel. Dazwischen ist Bach zu hören.

Richard von Weizsäcker meint nicht den Satzbau, wenn er von dem schwierigen Text spricht, sondern die Inhalte. Schuld, Mord und Totschlag. Von Weizsäcker ist 89 Jahre alt und trägt einen schwarzen Anzug zum weißen Haar. Mit sicherem Schritt nimmt er die Stufen zum Pult im Altarraum und liest los. In der Kirche ist es so still, als würden die gut 400 Zuhörer den Atem anhalten. Von Weizsäcker dramatisiert den Text nicht, wie etwa der Schauspieler Ben Becker in seiner Bibelshow. Er liest ihn auch nicht einfach herunter. Er trägt ihn in den hohen Kirchenraum hinein, Satz für Satz, ruhig, mit sonorer, fester Stimme. So wird er groß und größer, der Herrgott, der große Weltmechaniker, der schraubt, glättet, teilt und zusammenfügt. „Und Gott sah, dass es gut war.“

Da tritt Linda Fichtner, 21-jährige Studentin an der Hanns-Eisler-Hochschule, mit ihrer Violine vor den Altar und spielt den fünften Satz der Partita D-Moll von Johann Sebastian Bach, Variationen eines Bass-Themas. Etliche Gäste haben die Augen geschlossen, um Text und Töne auf sich wirken zu lassen. Oder ist es ein kurzer Schlummer?

Aber nun spricht von Weizsäcker noch einmal und die Schlange hat ihren Auftritt und Eva, die es wissen will, und Adam, der einfach hineinbeißt in den Apfel, den Eva ihm hinhält. Gott straft alle grausam. Aber ist er nicht mit schuld? Schließlich hat er ihnen den Baum der Erkenntnis ins Gärtlein gepflanzt. Eine Antwort gibt es an diesem Sonntag nicht.

Die Jesus-Christus-Kirche sei der ideale Ort, um gewaltige Texte auch mal im Raum stehen zu lassen, ohne Erklärung, sagt von Weizsäcker später. Er kennt das Gotteshaus schon lange, er und seine Frau wohnen um die Ecke. Und ja, in dieser Kirche möchte er einmal „abgefeiert“ werden, wie er sagt. Das sei schon abgemacht. Vielleicht kann nur jemand, der sich der Endlichkeit des Lebens bewusst ist, so eindrucksvoll über seinen Anfang lesen. Claudia Keller

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