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Berlin: Sonntags um zehn: Stille zur Prime Time

Am Sonntag um zehn kommen die meisten wahrscheinlich wieder zum Hochamt. Oder sie gehen in ihrer eigenen Pfarrei in die Messe.

Am Sonntag um zehn kommen die meisten wahrscheinlich wieder zum Hochamt. Oder sie gehen in ihrer eigenen Pfarrei in die Messe. Alle haben sie aber das Wochenende auf eine sehr spezielle Art angefangen. Am Freitagabend zwischen halb neun und kurz nach zehn - zur besten Ausgeh- oder Fernsehzeit - verbringen sie eineinhalb stille Stunden, sehr stille sogar.

In der katholischen Sankt-Johannes-Basilika in der Lilienthalstraße in Kreuzberg treffen sich Gläubige seit 1982 zur Eucharistischen Anbetung, einer besonderen Form stiller Meditation und Besinnung. Wer kommt, wenn es draußen noch hell ist, muss sich zunächst an die Dunkelheit gewöhnen. Im Schiff der Kirche ist es ganz finster, nur vorn im Chor brennen ein paar Kerzen. Bis das Auge das findet, worum es eigentlich geht an diesen Freitagabenden, dauert es noch ein bisschen länger.

Kein golden funkelnder Kelch, keine schimmernden Edelsteine auf heiligem Gerät, nicht einmal ein Halogen-Spot, der das Allerheiligste ins rechte Licht rückt. Die nach christlichem Verständnis in der Eucharistie zum Leib Christi gewandelte Oblate ruht in einem schlichten Gefäß aus Bronze. Diese Monstranz hebt sich unter dem reich bemalten neuromanischen Baldachin im Chorraum kaum ab. Und doch ruhen die Blicke und Gedanken dort.

Vor ihrem vergegenwärtigten Erlöser knien die Christen auf dem Boden oder eigens bereitgestellten kleinen Schemeln. Meist in aller Stille, immer wieder gibt es ein Lied. Ohne brausende Orgel, statt dessen mit zwei Gitarren. Die Gesänge sind im Stil der Gemeinschaft von Taizé mit ihren synkopischen Rhythmen und den hohen Ostinato-Oberstimmen. Und den Ton geben hier - im Schatten der päpstlichen Nuntiatur, die in wenigen Wochen eröffnet wird - die Frauen an. Sie sind es auch, die mit jenen vor die Stufen des Hochaltars treten, die Beistand im Gebet suchen. Ein kurzes Gespräch, worum es geht, dann stehen sie da, gemeinsam bittend, eine Hand auf der Schulter mit des Menschen, der darum gebeten hatte.

Eine von diesen Frauen ist Bozena Seidel, die seit Jahren zu den Anbetungen kommt. Sie beruft sich auf den Gründer des Jesuiten-Ordens, Ingnatius von Loyola, und will die Heilsbotschaft immer weiter tragen. Und sie vertraut fest in die Kraft, die ihr diese Andachten geben. Dass sie für viele anachronistisch wirken mögen, trotz oder wegen all der Meditations- und Selbstfindungstrends, stört sie nicht im geringsten. Als sie neulich im Pfarrhaus ausgeholfen habe, berichtet sie, kam ein Mann und bat um etwas zu essen. Er bekam es und begann Gott zu verunglimpfen. Darauf habe sie für ihn gebetet.

Am Freitagabend war er wieder da, zur Eucharistischen Anbetung, trat nach vorne und suchte Beistand für sein Gebet. Bozena Seidel legte ihm dazu die Hand auf die Schulter.

Jörg-Peter Rau

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