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Jugendliche bei einem Gangway-Projekt auf der Fashion Week.

© picture-alliance/ dpa

Sozialarbeit: 20 Jahre Gangway: Von der Straße auf den Laufsteg - vor fünf Jahren

Vor fünf Jahren wurde der Verein Gangway 20 Jahre alt. Die Sozialarbeiter hatten vielen Jugendlichen aus der Krise geholfen. Seit einigen Jahren setzte der Verein verstärkt auf Projekte wie Modenschauen oder Hip-Hop-Workshops. Was Patricia Hecht darüber schrieb.

Detlef mit dem grauen Zopf und der rauchigen Stimme war der Erste, der vor 20 Jahren als Sozialarbeiter von Gangway seinen Fuß auf die Berliner Straßen setzte. „Ich mochte einfach diese Jugendlichen“, sagt der 60-Jährige. „Und ich mag sie immer noch.“

Vielleicht ist diese Motivation, so einfach sie ist, der Grund, warum Gangway in 20 Jahren zur Institution geworden ist in Sachen Straßensozialarbeit. Heute hat der Verein rund 65 Mitarbeiter, die in neun Berliner Bezirken für Jugendliche da sind. Zum Jubiläum wurde nun ein Buch veröffentlicht, in dem die Mitarbeiter die Geschichten erzählen, die sie in 20 Jahren erlebt haben – ihre, die der Jugendlichen, die von Gangway.

„Down Town Berlin“ heißt das Buch, 46 Geschichten beschreibt es: kurze und lange, tragische und komische, von persönlichen Erfolgserlebnissen und großen Niederlagen. Zugleich ist das Buch auch ein kleines Stück Zeitgeschichte, das die Veränderung Berlins von den Jahren kurz nach der Wende bis heute beschreibt – aus einer Perspektive, die sonst selten eingenommen wird.

Da geht es zum Beispiel um die Anfänge des Vereins und die Situation auf den Straßen der Stadt in den 90er Jahren, die geprägt war von großen Jugendgangs mit mehr als 200 Mitgliedern. Es gab die „Thirtysixer“ in Kreuzberg, die „Black Panther“ im Wedding, die „Reuter“ oder die „Spinne“. Es gab linke Gruppen, türkische Nationalisten, rechte Skins – und alle liefen gegeneinander Sturm. Vor einer groß angelegten Schlägerei am Alex, erzählt der Gangway-Mitarbeiter der ersten Stunde Detlef Kumlehn, seien ein paar Jungs zu ihm gekommen, die gar nicht beteiligt waren. „Könnt ihr nicht vorbeikommen“, habe es geheißen, „ein bisschen dabei helfen, dass es nicht zu sehr eskaliert?“ Das Vertrauen, das die Jugendlichen zeigten, „vergisst man nicht“, sagt Kumlehn.

Die großen Gangs gibt es heute nicht mehr. Was bleibt, sind „Einzelschicksale“, wie ein Mitarbeiter es nennt: die, die durchrutschen durchs System, die Probleme haben mit Drogen, Gewalt, Essstörungen, die sexuell missbraucht werden. Manche schaffen es weg von der Straße – manche, wie der Borderliner Zelli, der schließlich an einer Überdosis starb, auch nicht.

Einer, der es geschafft hat mithilfe von Gangway und heute selbst im Verein arbeitet, ist Taner Avci. Er wuchs in der Türkei auf, kam mit zehn nach Deutschland und brach fünf Ausbildungen ab. Als er auf dem Bau arbeitete und irgendwo am Rand der Legalität entlangschlidderte, standen ihm Gangway-Mitarbeiter zur Seite. Einige davon sind heute seine Kollegen: Irgendwann suchte Gangway einen türkischen Mitarbeiter.

„Taner war genau, was wir brauchten“, sagt die Geschäftsführerin Elvira Berndt, die damals beim Vorstellungsgespräch dabei war: Er sprach deutsch, türkisch und arabisch – und noch dazu die Sprache der Straße. „Ich habe immer wieder Hilfe von Gangway bekommen“, sagt Avci heute, der eine Ausbildung als Erzieher beendet hat und demnächst ein Studium der Sozialarbeit beginnen wird. Irgendwann habe ihm der Verein „das Werkzeug in die Hand gegeben“, um selbst mit Jugendlichen an Zukunftsperspektiven zu arbeiten.

Manches bei Gangway ist über die Jahre gleich geblieben. Noch immer wird „aufsuchende Sozialarbeit“ gemacht: Gearbeitet wird dort, wo die Jugendlichen sind. Damals wie heute geht es darum, Kontakte zu knüpfen, Vertrauen aufzubauen, Unterstützung anzubieten – ohne gleich Gegenleistungen zu erwarten. Und noch immer richten sich die Mitarbeiter auch nach den Zeiten, die die Jugendlichen vorgeben: Dienstschluss um 18 Uhr gibt es selten.

Zugleich aber ist der Verein, der im Kern von Senats- und in Teilen von Bezirksgeldern finanziert wird, gewachsen und erwachsen geworden: von früher „provisorischen und experimentellen“ Betreuungen junger Menschen, wie eine Mitarbeiterin sagt, hin zu professionellen Strukturen. Rund 3000 Jugendliche betreut Gangway heute jährlich – manche nur einige Monate, andere Jahre.

Wesentlich stärker als früher wird auf Projekte gesetzt: So gibt es etwa HipHop-Workshops und Street-Art-Wettbewerbe, einige Sozialarbeiter kümmern sich insbesondere um die Vermittlung berufsqualifizierender Maßnahmen. Auch von diesen Projekten erzählt das Buch – am Rande. Im Kern geht es um die Jugendlichen, denen die Gangway-Mitarbeiter seit nunmehr 20 Jahren mit Geduld und Respekt begegnen.

„Down Town Berlin – Geschichten aus der Unterstadt“. 20 Jahre Straßensozialarbeit mit Gangway e. V. Eigenverlag, 350 S., 12,80 Euro

Der Beitrag erscheint in unserer Rubrik "Vor fünf Jahren"

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