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In OMAS ZEITung (21): Spätheimkehrer

Dorothea Spannagel war Lokalreporterin im Berlin der 50er Jahre. Ihr Enkel Lars entdeckt ihre Texte neu. Diesmal: Oma Thea trifft Kriegsgefangene, die nach Berlin zurückkehren.

Im Mai 1954 ist der Krieg in Berlin seit neun Jahren vorbei. Die Ruinen sind zu Trümmerbergen aufgeschüttet worden, Neubauten in die Höhe gewachsen, es wird wieder gelacht und getanzt. Das Leben ist zurückgekehrt. Am 18. Mai 1954 schreibt meine Oma Thea in der „Neuen Zeitung“ über Menschen, die all das verpasst haben. Über Männer, die in den Krieg ziehen mussten und nun in eine Stadt zurückkehren, die nicht mehr dieselbe ist. In einer Feierstunde werden in Neukölln Kriegsgefangene, die erst vor Kurzem in ihrer Heimatstadt angekommen sind, empfangen und entschädigt.

Vom Bezirksbürgermeister Kurt Exner bekommen die sechs geladenen Spätheimkehrer „einen Scheck von rund 4000 DM“, der ihnen nach dem Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetz zusteht. Dazu die mündliche Versicherung, „dass es allen klar sei, damit nicht die durchgemachten Leiden abgelten zu können“. Die materielle Hilfe soll dazu beitragen, „den Neubeginn in der Heimat zu erleichtern“, schreibt meine Oma.

Leider – aus journalistischer Sicht – schreibt sie nicht, was die Kriegsgefangenen von ihrer Rückkehr berichten. Vielleicht wollen die Männer auch nicht erzählen, wie es ihnen in Gefangenschaft ergangen ist. Wie das neue Berlin, die in Zonen aufgeteilte Stadt, auf sie wirkt. Vielleicht hat sich meine Oma auch nicht dazu durchringen können, all diese Fragen zu stellen. Schließlich ist ihr eigener Mann, mein Großvater, 1954 noch vermisst, die Möglichkeit eines plötzlichen Wiederauftauchens nicht mehr als eine verrückte, verzweifelte Hoffnung.

Vielleicht entspricht es aber auch der West-Berliner Geisteshaltung der 1950er, Krieg und Gefangenschaft auszublenden – und nur nach vorn zu schauen. Im Artikel meiner Großmutter berichten die Heimkehrer von den bescheidenen Plänen, die sie mit ihrem Entschädigungsgeld haben. Es geht zuallererst um Möbel oder Kleidung für die Kinder, etwas Vorzeigbares zum Anziehen für sich selbst. Meine Oma zitiert einen der Männer: „Wenn man nur mit einem Anzug nach Hause gekommen ist, fehlt es eben überall.“ Wie so oft in den Artikeln meiner Oma geht es auch um Hunger, beziehungsweise den mit Zahlen belegbaren Sieg darüber: „Einer erzählt, dass er in den vier Monaten, die er jetzt wieder zu Hause ist, 30 Pfund zugenommen habe.“

Immerhin einer der Kriegsgefangenen hat einen romantischen Plan: Er will schnellstmöglich heiraten. „,Wir müssen doch mithelfen, die Berliner Mädchen unter die Haube zu bringen‘, erklärte er lächelnd. ,Zur Hochzeitsreise reicht’s zwar nicht, aber zur Wohnungseinrichtung und zum nötigen Anzug ungefähr.‘“

Ich weiß nicht, ob ich es als Reporter übers Herz gebracht hätte, die Männer nach ihren Sorgen und ihrer Ankunft im fremden Berlin zu befragen. Vielleicht hätte auch ich nur die Fakten aufgeschrieben: 4000 DM, 30 Pfund, neuer Anzug, viel Glück.

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

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