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Berlin: Spitzel, Schnüffler, Scientologen - die Chronologie des Falls Otto D.

Im Juni 1997 beschließt die Innenministerkonferenz, Scientology vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) führt den V-Mann Adolf P.

Im Juni 1997 beschließt die Innenministerkonferenz, Scientology vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) führt den V-Mann Adolf P. unter dem Decknamen "Junior", einen knapp 80-Jährigen, der lange für die Staatssicherheit der DDR gespitzelt hatte. Von Sommer 1997 bis März 1998 gilt "Junior" als bundesweit beste Quelle, mit der sich die Berliner bei ihren Amtskollegen anderer Bundesländer profilieren. Der V-Mann setzt mehr als 100 Meldungen ab und identifiziert mehrere Dutzend Scientology-Mitglieder.

Freitag, 20. 3. 1998: Bei der Senatsverwaltung für Inneres, der Boulevardzeitung "BZ", dem Polizeipräsidenten und dem Gesamtpersonalrat der Polizei geht ein anonymes Schreiben ein, das Otto Dreksler als Scientology-Mitglied bezeichnet. Das Schreiben wird auf Veranlassung von Staatssekretär Kuno Böse sofort an den Verfassungsschutz weitergeleitet. Amtschef Eduard Vermander entscheidet, dass das Schreiben zum Leiter des Scientology-Aufbaustabs im Verfassungsschutz, Kuno Overlöper, nach Hause gefaxt wird und betraut seinen Scientology-Experten mit sofortigen Ermittlungen. Overlöper informiert daraufhin spät abends seinen V-Mannführer, der mit Adolf P. alias "Junior" telefonisch Kontakt aufnimmt. "Junior" erklärt, dass er einen Otto Dreksler kenne, und bestätigt die Aussage am Wochenende mehrfach auf Nachfrage, Dreksler sei ihm sogar namentlich vorgestellt worden.

23. 3. 1998: Der Verfassungsschützer Overlöper meldet sich am Montag telefonisch bei Innenstaatsssekretär Kuno Böse und erklärt, es handele sich bei Dreksler mit großer Wahrscheinlichkeit um ein Scientology-Mitglied. Eine endgültige Identifizierung könne jedoch erst nach weiteren Ermittlungen erfolgen. In der Woche meldet sich der Stab des Polizeipräsidenten mehrfach beim Verfassungsschutz und fragt nach Beweisen.

Etwa 26. 3. 1998: Bei der Vorlage eines Farbfotos, das Dreksler in Dienstkleidung zeigt, sagt "Junior": "Ja, den kenne ich." Interne Akten des LfV halten fest, dass der Spitzel auf die Frage, ob er den Namen der abgebildeten Person wisse, mit "Nein" antwortete. Auf die Nachfrage, ob es sich um Otto Dreksler handeln könne, sagte er: "Kann sein."

27. 3. 1998: Das LfV schreibt an den Polizeipräsidenten, eine im allgemein als zuverlässig geltende Quelle habe bestätigt, dass ein Otto Dreksler Mitglied der Scientology-Sekte sei. In dem Schreiben heißt es: "Die Quelle konnte jedoch anläßlich der Bildvorlage die abgebildete Person nicht mit Sicherheit als Otto Dreksler idenztifizieren. Das LfV geht dennoch davon aus daß Herr Leitender Polizeidirektor Otto Dreksler SO-Mitglied ist."

30. 3. 1998: Bei einem Treffen bei Oberstaatsanwalt Jürgen Heinke erklärt Overlöper für den Verfassungsschutz, dass das Amt aufgrund der ungesicherten Erkenntnislage kein Zeugnis austellen könne. Staatsanwalt Heinke leitet an diesem Tag ein Verfahren gegen Dreksler ein.

31. 3. 1998: Auf Initiative von Polizeipräsident Hagen Saberschinsky findet eine Besprechung mit Eduard Vermander im Polizeipräsidium statt. Trotz der Bedenken seines Referatsleiters sagt Vermander die Ausstellung eines Behördenzeugnisses zu. Nach längeren Diskussionen gibt Vermander folgende Formulierung vor: "Polizeidirektor Otto Dreksler ist Mitglied der SO" - obwohl der V-Mann nie direkt von einer Mitgliedschaft Drekslers gesprochen hatte. Die Polizei hält Dreksler fest, durchsucht Auto, Diensträume und seine Wohnung.

Ende März: Gegen einen Richter des Verwaltungsgerichts wird ebenfalls der Verdacht auf Scientology-Mitgliedschaft laut. Untersuchungen beginnen.

Ende März / Anfang April 1998: Otto Dreksler wird im Anschluss an die Durchsuchung eine Woche lang vom Verfassungsschutz observiert. Die Observanten fallen allerdings schnell auf.

Anfang April 1998: "Junior" identifiziert Dreksler - diesmal bei einer Lichtbildvorlage.

Mitte April 1998: Vom Scientology-Fachbereich wird Vermander darauf hingewiesen, es könne sich im Fall Dreksler auch um eine Intrige gehandelt haben.

13. / 14. Mai 1998: Der Scientologe Marco S. wird auf dem Weg nach Hause von zwei Verfassungsschützern mit den Decknamen "Dörfler" und "Aland" angesprochen, um ihn als V-Mann zu werben - den gleichen Beamten, die auch V-Mannführer bei "Junior" waren. S. spricht sich mit Scientology ab und schreibt Protokolle. Vermander entscheidet nach Absprache mit Kuno Böse, S. 5000 Mark sofort zu zahlen, 5000 Mark sollen später folgen: aus Hoffnung, doch einen Beweis zu erhalten. S. nimmt die ersten 5000 Mark und verschwindet. Das Honorar ist verloren, ohne Gegenleistung.

Mai 1998: Otto Dreksler stellt gegen den Verfassungsschutz Strafanzeige - er sei kein Scientology-Mitglied. Zwischen Oberstaatsanwalt Jürgen Heinke und dem Verfassungsschutz kommt es zum offenen Streit. In einem internen Vermerk des LfV vertritt der Staatsanwalt die Auffassung, dass die "Aussagen unseres VM ohne Wert seien, (....), da das Amt (...) den VM beeinflusst und ihm entsprechende Antworten suggeriert habe."

Anfang Juni 1998: Scientology erklärt, Dreksler sei kein Mitglied.

17.6.1998: Die staasanwaltlichen Ermittlungen gegen Dreksler wegen angeblicher Nötigung eines Mitarbeiters - wie im anonymen Brief behauptet - werden eingestellt. Nun sind es nur noch der Verfassunsgsschutz und die Innenverwaltung, die am Vorwurf der Scientology-Mitgliedschaft festhalten.

29. 6. 1998: Der stellvertretende Verfassungsschutzchef Klaus Müller notiert auf einem internen Vermerk, es bestünden Anhaltspunkte, dass sich "Junior" bei dem Richter geirrt haben könnte. Wenn sich die Vorwürfe gegen den Richter als falsch erweisen sollten, müsste auch der Fall Dreksler neu geprüft werden. Vermander widerspricht im Amt, der Fall Dreksler sei "eindeutig".

Anfang Juli 1998: Bei einer weiteren Lichtbildvorlage ist "Junior" nicht mehr in der Lage, den Richter als Scientologen zu identifizieren. Die Beobachtung des Juristen wird draufhin eingestellt - ein weiteres Alarmzeichen, dass möglicherweise auch im Fall Dreksler nicht alles stimmt.

9. 7. 1998: Aufgrund seiner Falschaussage zur Scientology-Mitgliedschaft des Richters wird V-Mann "Junior" erneut von den Verfassungsschützern befragt. "Junior" verheddert sich zum Thema Scientology und Dreksler in Widersprüche. Die Zweifel wachsen.

15.7.1998: In einer Neubewertung kommt der Fachbereich Scientology des Verfassungsschutzes zu dem Ergebnis, dass die Grundlage für das Behördenzeugnis entfallen ist - damit müsste das Zeugnis eigentlich zurückgenommen werden.

19.7.1998: Innenstaatssekretär Böse, Verfassungsschutz-Chef Vermander und Polizeipräsident Hagen Saberschinsky beschließen, die Untersuchung dennoch weiterzuführen, da bei Dreksler zu Hause Polizeiakten in einem anderen Zusammenhang gefunden wurden.

22.7.1998: Der Innensenator erklärt öffentlich, die Vorwürfe gegen Dreksler könnten nicht belegt werden. Trotzdem nimmt Vermander das Behördenzeugnis nicht zurück. Bei einer neuen Sicherheitsüberprüfung wird lediglich die Auskunft erteilt, gegen Dreksler bestünden keine Bedenken mehr. Das Votum wird von Christoph Krause unterschrieben, der für die Sicherheitsüberprüfungen zuständig ist.

23.7.1998: Dreksler wird rehabilitiert und kehrt erst in seine Position als Leiter des polizeilichen Lagezentrums zurück, wechselt dann zum 1.9.1999 in die Polizeischule.

14.8.1999: Die Innenverwaltung setzt eine Untersuchungskommission ein. Der Kommission gehören Christoph Krause (auch Personalratsvorsitzender beim Verfassungsschutz), Bernhard Dybowski (Leiter Abteilung 3) und Regierungsdirektor Rhode (Fachaufsichtsreferat in der Innenverwaltung) an - zwei der drei waren mit dem Fall Dreksler selber betraut. Mitte August 1999 legt die Untersuchungskommission einen Zwischenbericht vor. Darin werden dem Scientology-Referat im Amt sowie dem stellvertretenden Amtsleiter Müller schwere Fehler vorgeworfen. Der Bericht ist bis heute geheim.

Holger Stark

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