zum Hauptinhalt
Übernahmeerfahren.Nikolaus Driessen (l.) und Florian Niedermeier hatten 2011die Markthalle Neun von der Stadt übernommen – und wiederin die schwarzen Zahlen geführt. In Moabit wollten sie das Experiment mit anderen Händlernwiederholen.

© Tsp

Stadtentwicklung: Wie der Senat die Evolution des Großmarkts blockierte

Mit frischen Ideen wollte eine Händler-Initiative den verstaubten Großmarkt in Moabit zur Attraktion machen. Der Senat gab den Erneuerern keine Chance

Schluss, aus und vorbei: Über Monate hinweg hat eine Initiative von Händlern für eine Übernahme und Runderneuerung des Berliner Großmarktes geworben. Doch daraus wird nun nichts, denn die Senatsverwaltung scheut die Veränderung.

Sie wollten das vergessene Gelände umkrempeln

Doch der Reihe nach. Die Händlerinitiative plante, das vergessene Gelände in Moabit umzukrempeln wie zuvor schon die Markthalle Neun in Kreuzberg – ein ehemals insolventes Unternehmen, das sich zum prosperierenden Wirtschaftsstandort und beliebten Bürgertreffpunkt gewandelt hat. Wie in Kreuzberg sollte auch in Moabit das Angebots-Allerlei der Händler durch regionale Biowaren ersetzt werden und eine Vielfalt von Speisen-Manufakturen mit innovativen bis exotischen Produkten Besucher anlocken. 22 Millionen Euro hatte das Händlerbündnis dem Senat angeboten, um das landeseigene Gelände per Erbpachtvertrag zu übernehmen.

Hochstapler. Mit einer geschickt lancierten Drohung gelang es der Geschäftsleitung, eine Verpachtung des landeseigenen Geländes noch abzuwenden.
Hochstapler. Mit einer geschickt lancierten Drohung gelang es der Geschäftsleitung, eine Verpachtung des landeseigenen Geländes noch abzuwenden.

© Getty Images/iStockphoto

Doch der Senat ignorierte das Werben der Interessensgemeinschaft. Nicht mal zum Wettbewerb der Konzepte kam es, um auszuloten, wer die besseren Ideen hat. Und die Entscheider aus den Senatsverwaltungen für Wirtschaft sowie für Finanzen haben nicht einmal persönlich ihre Entscheidung begründet, um wenigstens damit ihre Anerkennung auszudrücken für das aufwendige Angebot der Unternehmer: „Wir wurden völlig überrascht“, sagt Nikolaus Driessen von der Markthalle Neun. Erfahren haben er und seine Mitstreiter die Entscheidung beiläufig von Dritten ohne Begründung, ohne Diskussion. Nach Aktenlage zeichnet sich nun ab, dass Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) die Gründerinitiative abwürgte, weil die Geschäftsführung vom Großmarkt mit einer schlechteren Bilanz drohte, wenn sie ihre eigenen Pläne nicht weiter verfolgen könne. Ein Rückzug aus Angst, wirtschaftspolitisch Verantwortung zu übernehmen?

Blinder Fleck auf der Stadtkarte

Noch ist der Großmarkt für viele Berliner ein blinder Fleck auf der Stadtkarte. Dabei liegt das Gelände Mittenmang am Rande von Moabit. Fast jeder Apfel, jede Tulpe und jedes Steak aus den Regalen der Läden kommt zuerst hier an. Zutritt auf das Gelände haben bisher vor allem Händler und Wirte, die ihre Waren hier abholen. Das sollte sich nach dem neuen Konzept ebenso ändern wie der triste Eindruck sanierungsbedürftiger Hallen mit dem maroden Charme des alten Westberlins aus Mauerzeiten.

Sie haben bewiesen, was sie können

Die neu gegründete Genossenschaft, die gemeinsam mit dem Markthalle-Neun-Team das Areal übernehmen wollte, plante neben der Sanierung eine „temporäre Öffnung des Großmarktes für Endkunden“, sie wollten Bauernmärkte ausrichten, Messen und Workshops. Vom Bezirk hatte sie dafür grünes Licht. Berlin wäre um eine Attraktion reicher gewesen. Und dazu noch eine, die regionale und biologische Herstellung sowie Verarbeitung von Lebensmitteln stärkt und einen Beitrag zur „Ernährungswende“ leistet, wie Experten das nennen.

Grüne Themen sind das, umso größer der Verdruss an der Grünen Wirtschaftssenatorin Ramona Pop, die das Projekt ausbremste, noch bevor es überhaupt geprüft war. Beiläufig, erst auf Nachfrage von Abgeordneten im Wirtschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses, hatte Pops Staatssekretär die Bombe platzen lassen. Ja, die Wirtschaftsverwaltung habe den Baustopp am Großmarkt aufgehoben, den Pop selbst für die Zeit der Angebotsprüfung verhängt hatte, damit keine Fakten geschaffen würden, bevor über eine Neuordnung unter der am besten geeigneten Führung entschieden ist.

Kurz nach dieser Nachricht im Wirtschaftsausschuss bestätigte die Senatsverwaltung für Finanzen, dass der Großmarkt im Eigentum des Landes bleiben soll – und nicht verpachtet wird an die Erneuerer von der Genossenschaft für die Dauer von 40 Jahren.

"Typischer Senatskompromiss"

Für ihre einsame Entscheidung soll Wirtschaftssenatorin Pop in einer Fraktionssitzung der Grünen von ihren eigenen Parteifreunden scharf angegangen worden sein. Marc Urbatsch, der die Großmarkt-Erneuerer unterstützt, dementiert das jedenfalls nicht, will aber auch kein weiteres Öl ins Feuer gießen. Er spricht aber von einem „typischen Senatskompromiss“. Ramona Pop äußerte sich dazu auf Anfrage nicht.

Den Ärger der ausgebremsten Erneuerer – „wer reden will, schickt keine Bagger“, sagt Driessen – kann Urbatsch verstehen. Wenigstens eine Debatte über das Angebot hätte es geben müssen. Der Senat sei den Weg des geringsten Widerstandes gegangen. In der politischen Meinungsbildung des Parlaments sei die Linke erkennbar gegen das Projekt gewesen, die SPD eher skeptisch und die Grünen dafür gewesen, sagt Urbatsch.

FDP sie "Führungsschwäche" der Wirtschaftssenatorin

Dass das Pendel in der Koalition mal wieder zugunsten der Linken ausschlug, legt die FDP-Fraktion als Führungsschwäche von Pop aus: „Einer Wirtschaftssenatorin dürfen die Entwicklungen in der Stadt nicht egal sein, sie muss für die besten Rahmenbedingungen sorgen und diese im Senat auch durchsetzen", sagt Fraktionschef Sebastian Czaja.

Pop äußerte sich dazu auf Anfrage nicht. Die Korrespondenz ihres Hauses mit der in die Prüfung einbezogenen Senatsverwaltung für Finanzen legt aber nahe, dass die Wirtschaftssenatorin letztlich einem Trick der Geschäftsführung des alten Großmarktes auf den Leim ging. Diese schob vor, wenn der Baustopp nicht aufgehoben werde, drohe eine Abschreibung, die die Bilanz der landeseigenen Firma verhageln würde. So einfach entschied sie den Poker um den Großmarkt zugunsten der Bewahrer des Alten Berlin. Denn auch eine Staatssekretärin von Finanzsenator Kollatz-Ahnen drängte: „Um den Berliner Großmarkt diesem Risiko nicht auszusetzen und darüber hinaus die voraussichtliche Dividendenausschüttung an das Land nicht zu gefährden, bitte ich, die Aussetzung der Baumaßnahme zu revidieren“. Pop gab auf – widerstandslos.

Der Trick der alten Geschäftsführung

Dabei zweifeln Insider an der Notwendigkeit der Abschreibung und daran, dass sie solche Spuren in der Bilanz hinterlassen kann. Zumal sich der abzuschreibende Betrag auf „nur“ 738 000 Euro beläuft. Die beiden Senatsverwaltung hatten ihre Entscheidung außerdem damit verteidigt, dass Berlin sich nicht für so viele Jahre um die Verfügungsmöglichkeiten am Großmarkt bringen wolle: „Unser Fokus liegt nicht auf Grundstücksfragen“, sagte die Wirtschaftssenatorin auf Anfrage – eine Vergabe des Areals durch einen Pachtvertrag, der ja die Grundlage bildete für das Innovations- und Investitionskonzept der Genossenschaft, schließt sie damit aus.

Dafür will die Wirtschaftssenatorin das Gespräch mit den Bietern und Händlern wieder aufnehmen: „Wir laden alle Partner mit ihren Ideen ein, an unserem Zukunftsdialog teilzunehmen“. Der Berliner Großmarkt müsse fit gemacht werden für die Zukunft und brauche neue Ideen und Investitionen, die in der Vergangenheit zu kurz gekommen sind.

Geste der Versöhnung

Und als Geste der Versöhnung in Richtung der düpierten Bieter: „Die Interessengemeinschaft hat mit ihrem Konzept eine wichtige Debatte angestoßen“. Pop will nun an einem „runden Tisch“ die Konzepte der Initiative mit allen Beteiligten diskutieren. „Dieser Prozess startet unter der Federführung der Wirtschaftsverwaltung“. Zu einem ersten gemeinsamen Austausch habe die Verwaltung über 300 Händler eingeladen, so die Senatorin.

Die Verwaltung habe schon in den vergangenen Jahren versäumt, den Großmarkt neu aufzustellen, warum sollte ihr das jetzt plötzlich gelingen, kommentieren das Wirtschaftskreise. Die „ungeprüfte Ablehnung“ stößt auch dort auf völliges Unverständnis, auch wenn sich niemand dazu öffentlich äußern will.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false