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Stadtleben: Camping am Alex

Mitten in Staub, Lärm und Gestank haben Touristen ihre Wohnwagen aufgestellt

Franco Biondo aus Sizilien sieht ein bisschen aus wie Tennistrainer Nick Bolletieri: schmale Sonnenbrille mit Kordel, T-Shirt mit orangefarbenen Streifen. Samt Frau und Sohn brachte er die vergangene Nacht im Wohnwagen zu – direkt am Alexanderplatz, zwischen Hochhäusern, Verkehrslärm und Abgasen. „Es kostet nichts, es gibt keine Kontrollen – alles bestens“, findet Biondo.

Jetzt heizt die Mittagssonne den stillgelegten Parkplatz auf, der Wind wirbelt Staub auf. Biondo sitzt am Steuer, gleich bricht er auf heim nach Messina. Da biegt ein anderes Wohnmobil um die Kurve. Der Fahrer entdeckte die Kolonie am Alex zufällig und fragt Biondo, wie es sich hier lagern lässt. „Ausgezeichnet!“ Ein gutes Dutzend Campingwagen aus Italien parkt auf dem Gelände, auf dem bald eine Tiefgarage entsteht. Ein älteres Ehepaar aus Treviso kocht gerade Pasta und klopft an die Tür des Nachbarmobils. Vielleicht möchte jemand mitessen. „Pagare?“ „No“, sagt die Frau und schüttelt den Kopf. Zahlen müssen sie nichts, deshalb halten sie ja gerade hier. Bald wollen sie aufbrechen in die Niederlande. Gegenüber starrt ein Mann mürrisch in eine Landkarte. Biondo hingegen strahlt, obwohl er zwei Tüten schleppt.

Jahrelang versuchten Polizei und Bezirksamt vor allem am Schloßplatz, die wilden Camper mit Pollern und Parkverboten zu vertreiben. Zur Fußball-Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr lockerte sich die Linie. Neue Devise: So lange die Touristen keine Fäkalien auskippen, nicht grillen oder sonstwie daneben benehmen, drücken die Ordnungshüter ein Auge zu.

Die Herkunft der Wohnmobile zeigt, dass sich Berlin vor allem in Südeuropa zum beliebten Reiseziel entwickelt. 520 000 Übernachtungen von Italienern zählte das Statistische Landesamt vergangenes Jahr. Aus dem europäischen Ausland strömten nur die Briten zahlreicher an die Spree. Für die erste Hälfte dieses Jahres weist die Statistik bereits 276 000 Gäste aus Italien aus – ein Anstieg um mehr als 17 Prozent. Und wer sich kein Zimmer leisten will, schläft eben einfach im Wohnmobil.

Daran dürfte sich auch wenig ändern, wenn das Areal am Alex demnächst mit Bauzäunen abgeriegelt wird. Denn nicht nur dort nächtigen die Camper. Genauso viele Wagen mit italienischem Nummernschild stehen auf dem Parkplatz am Tipi-Zelt zwischen Kanzleramt und der Kongresshalle. Vereinzelte spanische Kennzeichen kündigen womöglich die nächste Welle an. Auf der iberischen Halbinsel ist der Berlin-Urlaub fast schon so angesagt wie in Italien. 215000 Gäste aus Spanien zählte die Statistik im ersten Halbjahr – 41 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum 2006.wek

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