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© Maike Redeker

Gefängnistheater: Die himmlische Luft der Freiheit

Seit sechs Jahren findet in der JVA Tegel Theater statt. Die Häftlinge lernen über die Probenarbeit Disziplin und entdecken neue Qualitäten und Talente in sich. Wir waren bei einer Aufführung des "Räuber Götz" mit der Videokamera dabei.

"Der Mensch will gut sein, auch wo er Böses tut“, ruft Götz von Berlichingen eindringlich, die eiserne Faust erhoben. Die Worte hallen wider zwischen den hohen Gebäudemauern mit den vergitterten Fenstern. Hinter so manchem Fenster sitzt ein Mann, das Gesicht auf die Fäuste gestützt, und blickt auf die Szene.

Götz liest einen Brief vor: „Von Weisslingen bietet uns einen fairen Prozess!“ Seine Gefährten lachen und rufen bedeutsam im Chor: „DIE Prozesse kennen wir.“ Dann folgt eine Rapszene. Zum Schluss schallt inbrünstig der Chor: „Himmlische Luft! Freiheit, Freiheit! - Die Welt ist ein Gefängnis.“ Die Stimmen werden über die Mauern hinweg getragen. Dann übertönt den Nachhall der Applaus. Die Vorstellung ist vorbei und die Zuschauer nähern sich schüchtern den Darstellern. Eine halbe Stunde dürfen sie ihnen Fragen stellen. Dann müssen die Schauspieler zurück in ihre Zellen. Das gesamte Ensemble besteht aus Inhaftierten der Justizvollzugsanstalt Tegel. Einige haben Verwandte und Bekannte unter den Zuschauern. „Das hätten Sie nicht geglaubt, was? Dass so was in mir schlummert!“ Stolz tritt „Adalbert von Weisslingen“ auf einen Besucher zu.

Götz spricht auch türkisch

"Ich bin auch ein Rebell. Das hat schon sehr gut gepasst“, sagt "Götz" mit ebenso viel Verve wie gerade auf der Bühne. Wieder lodert sein Blick. „Es war nicht schwer, mich in die Rolle hineinzuversetzen, und meine Leidenschaften und Sehnsüchte zum Ausdruck zu bringen.“ Es ist die romantische Vorstellung vom heldenhaften, ritterlichen Kriminellen, der den Reichen nimmt und den Armen gibt. In Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs im 16. Jahrhundert hat der Ritter Götz von Berlichingen versucht, sich und seine Mannen mit Raubzügen durchzubringen. In „Räuber Götz“ haben die Häftlinge auch eigene Textelemente beigesteuert: So ist das Schreiben des Adalbert von Weisslingen, das dem Publikum auf einer Tafel entgegengehalten wird, auf türkisch verfasst. In einer Passage wird die Quadratwurzel, und damit der Streit um die aktuelle Stimmverteilung in der EU, zitiert. Auch der Name „Gazprom“ fällt. Und noch ein Unterschied: Götz heißt heute Tuncay. Seinen wahren Namen will er nicht verraten, auch nicht, weshalb und wie viele Jahre er hier in der Justizvollzugsanstalt Tegel einsitzt. Nur so viel: Es werden „noch viele Jahre“ sein, und dass er ursprünglich aus der Nähe von Antalya stammt. Und dass er wohl bald abgeschoben wird. „Ich hoffe, dass ich einen ordentlichen Job bekomme, wenn ich abgeschoben bin in die Türkei." Vor 20 Jahren, beim Abitur, kam er das erste Mal in Berührung Goethes „Götz“. Als er durch das Casting als Hauptdarsteller ausgesucht wurde, war er nicht gerade begeistert. „Ich habe so viele andere Verpflichtungen. Ich mache ja schon seit sechs Jahren mit, und jetzt möchte ich hier meinen Studienabschluss in Geschichte und Philosophie machen.“

Frida Kahlo und die Stalinisten

Auch sein Schauspieler- und Knastkollege Timur D. hat Träume für die Zeit nach der Haft: „Ich habe noch drei Jahre und zehn Monate. Ich hoffe, dass ich die Chance bekomme und meine Musik aufnehmen kann, vielleicht so in einem Jahr. Und später möchte ich dann zum Film. Aber ich möchte nicht zu einer Serie. Dann ist man sonst so festgelegt und macht man nur noch die Serie. Ob es dann was wird, muss man sehen.“ Wenn er nicht gerade rapt und schauspielert, verrichtet er Hausarbeiten in der JVA, „alles was so anfällt.“ Das Schauspielern ist eine willkommene Abwechslung im Knastalltag. „Wenn wir hier draußen proben, rufen mache blöde Dinge aus dem Fenster. Aber ich hab auch mal solche Dinge gerufen, das kann ich verstehen. Denen ist eben langweilig, und als wir am Anfang geprobt haben, hat sich das komisch angehört. Das Schauspielern kommt ja erst später dazu. Manche unterstützen das auch, aber es ist schon auch Neid da. Der gesamte Gefängnisalltag ist so, dass auch Neid da ist.“ Überhaupt, der Alltag. „Es ist immer gleich, jeden Tag. Es ist stumpf, und da geht man irgendwo auch ein. Man merkt es jetzt schon: Mir fehlen, die Worte, das war früher nicht so, das fällt mir auf, wenn ich mich unterhalte. Man redet ja hier im Knastjargon. Jeder erzählt einem das gleiche, der eine will nur raus, der andere nur Spaß und manche spielen den ganzen Tag nur Karten.“

„Der Knastalltag ist grausam, 23 Stunden sitzt man in der Zelle, das wünsche ich niemandem“, sagt auch Ivan Jakovlev–Pillau. Der riesenhafte Russe war einmal Sportjournalist. Dann kamen Alkoholprobleme. „Hier im Gefängnis hat mir die A-Gruppe, die Selbsthilfegruppe, geholfen, und auch die Arbeit für das Theaterstück. Es macht riesengroßen Spaß. Obwohl es manchmal knochenhart ist.“ Er lacht: „Unser Regisseur ist da sehr preußisch, ein Perfektionist, es ist härter als bei der Bundeswehr im Bosnien-Einsatz, oder so.“ Wenn Ivan in zehn Monaten rauskommt, nach fünfeinhalb Jahren insgesamt hinter Gittern, dann ist “Schluss mit dem damaligen Leben, Schluss mit Alkohol, raus ins Leben!“ - auch auf die Bühne? „Ja, auf die Bühne! Warum nicht? Ich habe ja ein Stück geschrieben. Unser Dramaturg Jörg Mihan, der auch an der Volksbühne arbeitet, hat mir geholfen.“ Nach seinen selbst verfassten Texten gefragt, rudert er strahlend mit den muskelbepackten Armen: „Das eine ist eine Dreiecksgesichte über Frida Kahlo, Leo Trotzki und die Stalinisten, und das andere ist eine Geschichte über Erich Honnecker. Und gerade schreibe ich an einem Stück über Matthias Rust, der auf dem Roten Platz gelandet ist. Also, ich habe Ideen ohne Ende, Zeit habe ich auch. Und das alles Dank unseres Theaterprojekts.“

Vermittlungsversuch zwischen drinnen und draußen

Und Dank des Regisseurs Peter Atanassow, der seit sechs Jahren mit dem Gefängnistheater „aufBruch“ in der JVA Tegel Stücke aufführt. „Wir kucken schon, dass die Texte was mit den Häftlingen zu tun haben. Wir setzen uns erstmal hin und reden über die Texte. Da muss man erklären, dass Revolution ohne kriminelle Energie nicht möglich ist. Und die Häftlinge kommen auch mit Fragen und eigenen Texten. Wir schauen dann, dass wir die einbauen“, sagt Atanassow. Auf dem Probenplan der Theatereleven stand Textstudium, Chöre sprechen, Lieder singen, Bewegungstraining - sieben Stunden täglich, fünf Tage die Woche, im Schnitt sieben Wochen lang. „Diejenigen, die zum ersten Mal dabei sind, sind erst einmal überfordert. Klar, so ein Theaterstück ist ein Fremdkörper. Auch für die Leute, die schon jahrelang dabei sind, weil sie ja zwischendurch wieder im Gefängnisalltag leben. Dann merken sie aber im Probenprozess: das könnte auch was mit mir zu tun haben.“ Er will vermitteln zwischen drinnen und draußen, mit Stoffen, die draußen auch existieren, dort aber ganz anders umgesetzt werden: „Hier gibt es Rituale, auch eine gewisse Form von Gesten, und diese spezielle Männergemeinschaft. Ein bisschen wie beim Militär.“

Luxus für das Gefängnis

Über die Jahre ist ein Vertrauen gewachsen zwischen der Gefängnisleitung und dem Team vom „aufBruch“. Das bestätigt Lars Hoffmann, der Sprecher der JVA Tegel. „Das haben wir uns auch zum Teil hart erkämpft. Wir sind auch immer abhängig von den Verhältnissen im Vollzug allgemein. Einerseits sind wir zwar überbelegt, aber auf der anderen Seite versuchen wir, trotzdem Theater zu machen. Denn es ist eigentlich ein Luxus, es gehört ja nicht zu den Kernaufgaben einer Anstalt, auch Theater zumachen. Aber wenn ich sehe, wie die Insassen, die mitmachen, sich entwickeln, wie sich die Leute in ihrem Verhalten verändern und das in den Häusern und den anderen gegenüber auch abstrahlen,... da sind unglaubliche Sprünge drin. Sie müssen ihre Texte lernen, pünktlich sein und sich dem Regisseur unterwerfen, Disziplin lernen. Und das kommt ihnen letztlich in ihrem Alltag hier auch zugute.“ Außerdem sei die Botschaft nach außen wichtig: „Wir schaffen nicht nur ein Ventil für die Gefangenen, sondern können so auch zeigen, dass die Häftlinge ein Potenzial jenseits der Kriminalität haben. Aber“, schränkt Hoffmann ein, „jemandem, der eine aktuelle Drogenproblematik hat, werden wir diese Möglichkeit nicht einräumen.“ Manche Häftlinge versuchen auch nach der Entlassung weiterhin Theater zu spielen. „Aber die haben dann eigentlich erstmal andere Nöte: wie kriege ich ne Wohnung, wie kriege ich Geld, und das alles auf legale Weise.“ Innerhalb der Mauern zählen jedoch ganz andere Dinge. „Wir brauchen keine Auszeichnung oder Geld oder so, das bringt im Knast eh nichts“, betont Ivan Jakovlev–Pillau. „Das schönste ist, wenn wir die Zuschauer von draußen begeistern können. Das ist total beflügelnd. Wir fühlen uns so ein bisschen wie ein Teil der Gesellschaft. Das Theaterspielen ist wie ein zweites Leben.“

Maike Redeker

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