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Feinkost: Solitäre der feinen kulinarischen Art

Kaffee, Sirup, Leberknödel, Olivenöl: Qualitätsprodukte aus Berliner Geschäften gibt es ohne Ende.

Die Zeit nach Silvester wird vom Wunsch nach Erneuerung gesteuert – Zeit für die ureigenste Aufgabe der Fantasie, das allzu Vertraute und Alltägliche nicht etwa mit der Lupe zu untersuchen, sondern in eine greifbare Ferne zu rücken, welche nötig ist, um es neu sehen zu können. Das gilt gerade auch für Lebensmittel, die über ihren unmittelbaren Zweck hinaus Genuss vermitteln sollen sowie etwas Eigentümliches, eine Botschaft oder Geschichte. Der Tagesspiegel-Testrunde sind auch 2008 viele Delikatessen begegnet, die sich einem direkten Vergleich von mehreren Anbietern entzogen. Dennoch (oder gerade deshalb?) gebührt ihnen Aufmerksamkeit.

Kaffee und Literatur werden zu Recht immer wieder in Verbindung gebracht. Das tut auch Willy Andraschko, der Chef der Kaffeemanufaktur in Kreuzberg. Für ihn ist das Kaffeehaus das „einzige ernst zu nehmende literarische Format“, und der Kaffee dessen Benzin: Denn es setzt nicht auf alkoholische Verdumpfung, sondern schafft jenen Überwachzustand, der wahrhaftige Schriftstellerei erst ermöglicht. Andraschkos Wiener Kaffeehaus-Mischung aus 100 Prozent Arabica-Bohnen trägt dieser Erkenntnis konsequent Rechnung. Ihr Genuss beginnt mit einem süßlichen Geruch, der in Dampf gehüllt von der Tasse aufsteigt. Anschließend begegnet der Gaumen einem beinahe kakaohaften Volumen, das samt seiner fruchtig-säurigen Note annähernd so wirkt wie eine Sachertorte ohne Zucker. Im Unterschied zu den harschen mediterranen Röstungen folgt noch ein anhaltender, blütiger Abgang.

Wenn es eine Mode gibt, die nicht mit der vergangenen Saison verflogen ist, so dürfte es der Zuckersirup sein. Die Bar jedenfalls hat er längst verlassen. Starbucks & Co. schenken ihn gallonenweise aus, und auch an die häusliche Tafel dringt er vor. Nach der Verkostung vieler runkelsüßer Lösungen mit fragwürdigen Aromatisierungen blieben lediglich zwei Kandidaten übrig, die beide von den „Galeries Lafayette“ angeboten werden. Zum einen ist es der wie Möbelpolitur glänzende, aus ungereinigtem Rohrzucker gewonnene „Sirop de Canne“ von Dillon, der wie eine Vorstufe zum Rum auftritt. Honig und ein Anflug von Lavendel, die diese flüssige Melasse prägen, befrieden jeden scharfen Espresso, während zum anderen der „Sirop de Vanille“ von Terre Exotique mit den Bitternoten spielt, das Schokoladige in Andraschkos Kaffee betont sowie sein duftiges, aber unvermeidliches Ende hinauszögert. Die passende Schokoladentafel dazu gibt es in der „Schokogalerie“ am Hedwig-Krankenhaus in Mitte. Man könnte sagen: endlich. Denn die wundervollen Couvertüren der Schweizer Manufaktur Felchlin waren bis vor kurzer Zeit im Einzelhandel nicht erhältlich. Die „Cocoa Selection Felchlin Cru Sauvage Bolivia Extra-Noir“ mit einem Kakaoanteil von 68 Prozent vermittelt so etwas wie Kakaobohnen-Urgeschmack und überwältigt den Gaumen mit zarter Gewalt.

Mit Feinschmeckerei hat Supermarkt-Olivenöl nichts zu tun

Wenn man Kaffee und Schokolade sozusagen zur Hochsprache gehörig ansieht, dann sprechen die deftigen Dinge Dialekt. Das ausgeprägte Idiom verdeckt, dass es sich bei Schwaben in kulinarischer Hinsicht um das Italien Deutschlands handelt. Spätzle, Flädele und Maultaschen sprechen ebenso dafür wie der volle Wein von den Hängen des Neckars. Noch südländischer allerdings erscheint der manchmal schon kauzige Eigensinn von kleinen Herstellern wie der Hofmetzgerei F. Hack im Hohenlohischen. Sie lässt sich bei Ochsenmaulsalat, Landjägern, Leberkäse und Knackern vom Zeitgeiz nicht hineinreden und arbeitet unverdrossen nach Art der Vorfahren. Deshalb findet sich in den tennisballgroßen Leberknödeln, die Wolfgang Stepper von „(Es gibt) Ebbes“ aus seiner hügeligen Heimat nach Schöneberg einführt, kein Glutamat, dafür nahezu ein Büschel kräftiger Kräuter: Diese Ausnahme-Knödel in Brühe oder auf Sauerkraut – schwäbischer (und herrlicher) geht’s kaum.

Wenn vom echten Süden die Rede ist, wird das Thema Olivenöl alsbald erreicht. Ausgiebig reden die Leute über Qualitäten, Etikettenschwindel und Panscherei – und kaufen dann eine billige Flasche beim Discounter, nur weil die bei der Stiftung Warentest gut abgeschnitten hat. Mit Feinschmeckerei und dem Verlangen, tiefe Eindrücke zu erfahren, hat das natürlich nichts zu tun. Dafür aber das Elia-Olivenöl von „Pikilia“.

Dieser dicke Saft von der Peloponnes gehört zu den eher milden Typen. Er besitzt dennoch einen ausgeprägten Charakter, der sich in Nuancen auffächert. Als Erstes vernimmt man die Frische von Gras, das noch an der Sense klebt. Im Mund verteilt sich Elia geschmeidig und hinterlässt erst in der Kehle eine kurz aufflammende Schärfe. Dazwischen lagert breit ein nussig-sattes Fruchtaroma, das selbst von den besten sizilianischen Sorten nicht übertroffen wird. Nach dem Essen bürstet Pikilias Griechischer Bergtee aus wildem Salbei den Bauch und bereitet einen zwischen Laken und Decke auf Träume voller Tafelreste vor.

Es gibt Hoffnung

Doch immer behält die Wirklichkeit das Wort. Ihre Macht über Schlaf und Illusion kann man nirgends besser verspüren als bei „Goldhahn & Sampson“. Das Spezialitätengeschäft am Helmholtzplatz wird von zwei unbeugsamen Experten geführt, die sorgsam ausgewählte Kochbücher in ihrer ohnehin an die Ästhetik einer Buchhandlung angelehnte Ladengestaltung auslegen und Kochkurse veranstalten, aber sich vor allem nicht von Lieferanten ins Bockshorn jagen lassen.

Dafür sprechen allein schon die Schraubgläser vom Bio-Gut Krauscha bei Görlitz. Vor Jahresfrist hatte die Testrunde den meisten flüssigen Fonds ein vernichtendes Zeugnis ausstellen müssen: Maggi plus Gelatine plus mehr nicht. Nun kann sie vermelden, dass mit Krauschas Geflügel-, Rinder- und Gemüsefond endlich Erzeugnisse erhältlich sind, die Sauce, Suppe und Stippe ähnlich stärken, wie es in guten Restaurants der Fall ist. Auch mit „Chefs feinem und kräftigem Fischfond“ vom Restaurant zur Ölmühle in Oberederdingen im Kraichgau lassen sich einfach edel glitzernde Saucen mit Gehalt zaubern.

Verschwunden ist bei Goldhahn & Sampson allerdings „Patum Peperium. The Gentleman’s Relish“, die entschlossen gewürzte Anchoviscreme aus einem Döschen im Schnupftabakformat, die alles Vergleichbare mühelos übertrifft. Doch es gibt Grund zur Hoffnung: Man ist bemüht, den Vertrieb wieder aufzunehmen.

Wie eine knatternde Flagge weht der Nahrungsmittel-Humor. Anfang dieses Jahres weihten die „Galeries Lafayette" dem Pata-Negra-Schinken aus Spanien einen eigenen Verkaufsaltar, hinter dem ein Angestellter feinsäuberlich mit scharf geschliffenem Dolch einem Schenkelstück zu Leibe rückt. „Iberischer Bellota. Verfeindet in Lata“, steht auf der baumlangen Dose, die diesen Stolz Spaniens in sich birgt. Tücke der Übersetzung? Eher wohl der unbeabsichtigte Durchbruch der Erkenntnis, dass solche verfeinerten Produkte der Feind öder Supermarktqualität sind. Thomas Platt

Andraschko Kaffeemanufaktur, Kreuzberg, Köpenicker Straße 154

(Es gibt) Ebbes, Schöneberg, Crellestraße 2

Galeries Lafayette, Mitte, Friedrichstr. 77

Goldhahn & Sampson, Prenzlauer Berg, Dunckerstr. 9

Pikilia, Schöneberg, Goltzstraße 5

Schokogalerie, Mitte, Große Hamburger Str. 35

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