zum Hauptinhalt
Bunker

© Wolff

Kunstbunker: Fester wohnen

Für die Kunst ist der alte Hochbunker in der Reinhardtstraße künftig die sicherste Berliner Adresse. Unten soll die Sammlung Boros hinter meterdicken Betonwänden ruhen, oben im Penthouse residiert ihr Besitzer.

Oben, nach dem Aufstieg durchs bedrückend niedrige Treppenhaus, zeigt der Bau, was für ein Brocken er ist. Die Arbeiter brauchten Wochen, um das Loch in die drei Meter dicke Decke zu stemmen – groß genug, um den Fahrstuhl aufzunehmen und die Treppe, die nun bis vor die Tür des Penthouses führt. Aus dem grob aufgemeißelten Beton schaut noch immer die Stahlbewehrung heraus. „Das soll so bleiben“, sagt der Architekt Jens Casper, „wir wollten so viel wie möglich vom Charakter des Gebäudes erhalten“.

Der Charakter des Baus ist gespenstisch. Unten, nach der Eingangstür, geht es labyrinthisch hin und her, durch die sogenannte Schleuse. Dann das Treppenhaus: Damit in der Enge möglichst viele Menschen gleichzeitig Schutz finden, sind es zwei parallele Treppen in einem Schacht. Die Decken sind niedrig. Fünf Etagen dickster Stahlbeton, an den Wänden noch die Beschriftungen aus dem Krieg: „4. Geschoß“, „5. Geschoß“. Schließlich stehen die Besucher vor dem Penthouse.

Der Bau in der Reinhardtstraße in Mitte ist der einzige noch erhaltene Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg in der Innenstadt. Deshalb steht er unter Denkmalschutz. 3000 Personen bot er während der schweren Luftangriffe Schutz, zeitweilig waren es mehr als doppelt so viele. Mehrfach wurde der Bunker getroffen, die Bomben konnten aber keine Löcher in die Decke reißen. Nach dem Krieg nutzte ihn die DDR, um Südfrüchte und Nüsse zu lagern. Nach der Wende fanden hier jahrelang die härtesten Techno- und Sex-Partys statt, halblegal, aber legendär.

Casper klingelt an der schlichten Metalltür. Christian Boros schiebt sie zur Seite und gibt so den Blick in das Penthouse frei. Eine Halle tut sich auf, die den Blick nach der Enge in den unteren Etagen wohltuend schweifen lässt . „Herzlich willkommen“, sagt der Bauherr und begrüßt den Architekten. Caspers Kinder stürmen ins Innere. Das Verhältnis ist herzlich; man duzt sich. Und das, obwohl sich die Bauzeit schon mehrfach verlängert hat. So etwas ist normalerweise dazu angetan, die Beziehung zwischen beiden Parteien zu zerrütten. Beim Bunker-Projekt ist das anders. „Wir haben sehr viel Spaß“, sagt Boros und lächelt zufrieden.

Der Werbefachmann und Kunstmäzen aus Wuppertal ist sichtlich stolz, dass er es zusammen mit seinen Architekten so weit gebracht hat. Vor vier Jahren kaufte er den Bunker. Eigentlich wollte er mit Kunstsammlung und Familie längst eingezogen sein. Das Penthouse – gedacht als extravagante Zweitwohnung des Chefs der großen Werbeagentur „Boros“ – ist mittlerweile bis auf wenige Details fertig. Nur die Kunst fehlt noch.

Wann ist es so weit? „Ach“, sagt der 42-Jährige, und hebt die Schultern, „ich bin vorsichtig geworden mit solchen Ankündigungen“. Es wird also noch etwas dauern, bis Boros’ angesehene Sammlung zeitgenössischer Kunst in den Bunker kommt, bis er Besuchergruppen auf Anmeldung durch die ungewöhnlichste Kunsthalle der Stadt führen wird. Aber Boros bleibt gelassen. Wer einen so langen Atem bewiesen hat, der kann ihn sich auch leisten. Was das Projekt kostet, behalten Boros und Casper für sich.

2100 Quadratmeter wird Boros für seine Kunst in den fünf Etagen des Bunkers haben. Das Penthouse kommt auf 470 Quadratmeter. Allein 370 Quadratmeter messen Terrassen und Gärten auf dem Dach – inklusive eines kleinen Pools zum Planschen. Rund 500 Quadratmeter Betondecken haben Boros und Casper aus dem Bunker herausschlagen lassen.

Das Penthouse ist wie der Bunker dominiert von Beton. Jens Casper und Petra Petersson, die zusammen das Büro „realarchitektur“ gegründet haben, schufen riesige Räume mit hohen Decken, in denen sich der Mensch trotzdem nicht verloren fühlt. Im Gegenteil: In der Bibliothek, in der nur eine Wand mit Büchern gefüllt ist, die darüber hinaus nur eine Lampe und einen Lehnsessel hat, wirkt geradezu heimelig. Das Bunker-Projekt päsentierten die beiden auf der Biennale in Venedig 2006. Ihr Credo: Weniger ist mehr. Das sieht der Bauherr genauso. „Wir wollten von der Bunker-Ästhetik möglichst viel nach oben retten, aber gleichzeitig etwas Neues schaffen“, sagt Casper. Petersson ergänzt: „Wir wollten etwas hinzufügen, in etwas, das schon da war.“ Kurz: durch das neue Penthouse dem Bunker ein anderes Gesicht geben, ohne den Gesamtbau zu dominieren.

In dieses Konzept passt, dass die Fassade nur gesandstrahlt und mit einer Schutzlasur versehen ist, viele Einschusslöcher aber sichtbar bleiben. Das Bauamt wollte es so, der Bauherr und die Architekten waren begeistert. Einigkeit auch bei den Innenräumen: Alle Gebrauchsspuren der Vergangenheit sollen bleiben. Hier zeichnen sich die Ränder der Bunker-Toiletten im Fußboden ab, dort die Reste der alten Lüftungsanlage und woanders ein Wandgemälde aus der Club-Zeit. Die Decken des Bunkers, nur 2,30 Meter hoch, sind an einigen Stellen herausgebrochen, so dass jetzt einzelne der 80 Räume knapp fünf oder sogar acht Meter hoch sind.

Eines aber können sie nicht vorgaukeln: „Sie sind kein Museum. Dafür sind sie auch nicht gedacht“, sagt Jens Casper. Aber sie sollen dazu gemacht werden. Die Architekten und der Bauherr entschieden sich in den fensterlosen Räumen für ein Minimalprogramm: die Wände in ihrem rohen Beton belassen, aber weiß streichen, und als Licht Schienen mit Neonröhren durch den ganzen Bau ziehen. Das funktioniert und nimmt den Räumen ihre bedrohliche Enge. Wie die Kunst in ihnen wirkt, muss sich noch zeigen. Wo welches Objekt seinen Platz finden wird, ist noch nicht ausgemacht. Nur eine Ausnahme gibt es: „Einen Raum haben wir speziell für eine Skulptur von Olafur Eliasson vorgesehen“, erzählt Casper.

Christian Boros fing nach dem Abitur an, Kunst zu sammeln. Eines seiner ersten Stücke war ein Beuys. Der ist längst verkauft, stattdessen gehören Arbeiten von Damien Hirst, Wolfgang Tillmans oder Elizabeth Peyton zur Sammlung. Mit dem Bunker erfüllt sich Boros einen Traum: mit der Kunst zu leben. Ein Vorbild dafür liefert ihm die Sammlung Hoffmann in der Sophienstraße. Das Sammlerpaar baute eine alte Fabrik zu einer Galerie um.

Fabriken zu Galerien, Umspannwerke zu Büros – Berlin hat mehrere solcher Baustellen zu bieten. Einem Bunker eine neue Funktion zu geben, hat sich in Berlin zuvor niemand getraut. Diese Transformation ist das wohl ungewöhnlichste und engagierteste Berliner Projekt seit Jahren, das Jens Casper und Petra Petersson da betreuen, aber eines, das nur zu stemmen ist, wenn sie einen Bauherrn wie Christian Boros haben: verliebt in ein Monster aus Beton und vernarrt in die Idee, dort mit seiner Kunst einzuziehen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false