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Hereinspaziert. Zu sehen sind Lehmpfuhls 30 großformatige Ölgemälde ab 29. April in der Münze.

© Thilo Rückeis

Malerei: Pinsel der Republik

Christopher Lehmpfuhl hat Berlin-Geschichte gezeichnet – auf Leinwand: Der Zehlendorfer hielt den Abriss des DDR-Baus fest und stellt jetzt aus.

Nach einem Bild sollte Schluss sein, doch er konnte nicht aufhören. Viel zu sehr zog ihn in den Bann, was vor seinen Augen geschah: Zerstörung, die endgültige Auslöschung eines Teils der Geschichte. Es war der Abriss des Palastes der Republik. „Ich war fasziniert davon, wie nach und nach mehr von Berlin sichtbar wurde“, sagt der Maler Christopher Lehmpfuhl, „auf einmal lagen die Friedrichswerdersche Kirche, das Außenministerium und Rote Rathaus frei“. Er habe einfach wiederkommen müssen zur Spreeinsel in Mitte, wo Kräne schon seit Monaten an dem DDR-Bau nagten, um zu malen. Bei Sonne und Regen. Und Zug um Zug brachte Lehmpfuhl mit schwerer Ölfarbe und seinen Fingern die letzten Phasen beim Rückbau des einstigen „Palazzo Prozzo“ und die Entstehung des neuen Freizeitareals auf die Leinwand. Vor drei Wochen dann setzte er „C.L. 10“ – Christopher Lehmpfuhl 2010 – unter das letzte Bild. Es ist das dreißigste. Zu sehen ist es mit den 29 anderen des Zyklus vom 29. April bis 2. Mai in der Ausstellung „Die neue Mitte: Zyklus vom Rückbau des Palastes der Republik“ in der Münze am Molkenmarkt.

Christopher Lehmpfuhl, 38, geboren in Zehlendorf, verheiratet, eine kleine Tochter, steht in Jeans und braunem Baumwollpulli in seinem Atelier in Wilmersdorf und betrachtet seine Arbeiten. Viele spannen sich auf 1,80 Meter Höhe und 2,40 Meter Breite. 30 Kilo wiegt jedes einzelne. Mit der Ausstellung erfüllt sich der Künstler einen Traum. „Ich hasse nichts mehr, als einen Zyklus zu zerstückeln, ohne ihn je im Ganzen gesehen zu haben.“ Ein Drittel der Bilder hängt zwar schon in privaten und öffentlichen Sammlungen in ganz Deutschland. Doch die Besitzer haben dem Künstler ihr Ja für die Ausstellung gegeben.

Da, der Dom! Lehmpfuhl malte mit schwerer Ölfarbe.
Da, der Dom! Lehmpfuhl malte mit schwerer Ölfarbe.

© Mike Wolf

Den Palastabriss malerisch zu dokumentieren, sei nicht geplant gewesen, sagt Lehmpfuhl. Es habe sich ergeben. Den Künstler inspirierte, dass mit jedem Kilo Beton und Eisen, das die Kräne seit dem Senatsbeschluss im Jahr 2006 abtrugen, mehr von der Stadt zu sehen war. Im September 2008 standen nur noch die Stahltreppen und „meine Begeisterung perfekt“, so Lehmpfuhl. Fortan sei er „malender Chronist“ gewesen, „im ständigen Wettlauf gegen die Zeit“. Der erste Vierteiler des Zyklus entstand, mit ebendiesen Treppen. Er bildet neben einem zweiten Quartett, das die neu angelegte Grünfläche am Schlossplatz zeigt, den zentralen Moment der Ausstellung. Steht der Betrachter dicht an den Bildern, versteht er sie nicht. Die Nähe zu den einige Zentimeter messenden Schichten von zäher, intensiver Farbe, die an einigen Stellen nie ganz durchtrocknen wird, macht es unmöglich, zu erkennen, was sie eigentlich darstellt. Ein, zwei Schritte zurück, und es formt sich die Spree oder Unter den Linden.

Malen war für Lehmpfuhl schon immer eine – in seinen Worten – „Lebensnotwendigkeit“. Er freut sich, dass seine Arbeiten in der Münze gezeigt werden: „Es ist ein morbides Thema, Zerfall, das passt nicht in einen geleckten Raum.“ Aber es passt in die Münze. Dort, wo einst auch Reichs-, DDR- und D-Mark und der Euro geprägt wurden.

Lehmpfuhl ist zwölf Jahre alt, als er privaten Malunterricht bekommt. Er studiert Malerei und macht sich dann selbstständig. Er hat sich der Landschaftsmalerei verschrieben und schafft sich ein Fahrrad an. So waren die Leinwände anfangs so groß, dass er sie auf seinem Fahrrad mitnehmen konnte. „Mit den Möglichkeiten wuchsen die Formate“, sagt Lehmpfuhl. Heute fährt er einen Sprinter – und malt vorwiegend auf fast drei Metern. „Ich bin mir sicher, dass auch Monet auf größeren Formaten gemalt hätte, hätte er einen Sprinter gehabt“, witzelt Lehmpfuhl.

Weil er im Westen aufgewachsen ist, werde er öfter gefragt, warum die DDR Thema seines Zyklus sei. Und Lehmpfuhl glaubt, gerade weil er nicht direkt betroffen war, kann er das Geschehene unbeschwerter betrachten. Die Mauer habe er gehasst, und die Wiedervereinigung war für ihn wie ein Befreiungsschlag. Die Zeit nach 1989 habe er begeistert verfolgt, den extremen Wandel in der Stadt und die Vermischung von Ost und West.

Vom Palast der Republik ist nicht mehr viel vorhanden. Lehmpfuhl hält auch diesen Moment fest.
Vom Palast der Republik ist nicht mehr viel vorhanden. Lehmpfuhl hält auch diesen Moment fest.

© Mike Wolff

Die Entscheidung, die ehemalige DDR-Volkskammer abzureißen, findet Lehmpfuhl „unsensibel und arrogant“. Vor allem, da der Palast einem Neubau mit den historischen Fassaden des ehemaligen Hohenzollern-Schlosses weichen musste. „Der Palast war ein ostdeutsches Symbol und wurde einfach ausgelöscht“, meint Lehmpfuhl. Auf dem Gelände hat er ein Stück Mauer mit dem Schriftzug ‚Die DDR hat es nie gegeben‘ gesehen. So kommt dem Maler der Abriss vor: „Man sollte zur eigenen Geschichte stehen und nicht von Wiedervereinigung sprechen und gleichzeitig neue Mauern hochziehen.“ Lehmpfuhl will, dass sich die Leute mit dem Thema beschäftigen, diskutieren.

Letztlich ist dem Künstler aber vor allem eins wichtig: der künstlerische Aspekt seines Zyklus. „Der Rückbau hat meine Sicht auf Berlin neu definiert, und er ist der perfekte Ausdruck von Zeitgeist, Veränderung und Vergänglichkeit.“ Lehmpfuhl wird zurückkehren an den Schlossplatz, denn er ist überzeugt: „Malerei bedeutet Bewegung.“

Die Ausstellung „Die neue Mitte: Zyklus vom Rückbau des Palastes der Republik“ ist vom 29. April bis 2. Mai in der Münze, Molkenmarkt 2 in Mitte, zu sehen. Öffnungszeiten: zwischen 12 und 18 Uhr.

Anja Brandt

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